Letzten Donnerstag habe ich die Welt gerettet
gerne noch viel mehr aufgeräumt hätte. Aber sie gab sich große Mühe, das nicht zu tun. Immerhin war sie ja nur zu Besuch. So ganz konnte sie sich allerdings nicht zurückhalten, denn irgendwann standen meine Bücher der Größe nach im Regal, meine Legosteine lagen nach Farben sortiert in verschiedenen Kästchen und auf meinem Schreibtisch herrschte eine ganz bestimmte Ordnung. Mir machte das aber nichts aus. Außerdem hatte ich auch gar keine Zeit, mich darüber zu ärgern. Denn inzwischen war uns klar geworden: Wir mussten dringend herausfinden, was eigentlich mit den Erwachsenen los war.
Die Stadt der vergessenen Kinder
Nach eineinhalb Wochen hörten wir auf, unsere Beobachtungen aufzuschreiben. Es dauerte zu lange. Denn es waren mittlerweile so viele, dass es einfacher gewesen wäre, die Dinge aufzuschreiben, die noch so waren wie vorher. Wie vorher war nämlich fast gar nichts mehr.
Wir liefen staunend durch die Straßen, in denen es jeden Tag bunter und chaotischer zuging. Das Viertel sah ein bisschen so aus wie mein Zimmer, bevor es die Prinzessin aufgeräumt hatte. Es war toll. Die meisten Kinder gingen überhaupt nicht mehr nach Hause. Sie hatten sich in den Hauseingängen, den Vorgärten und im Schulhof Hütten gebaut, in die sie eingezogen waren. Die Hütten sahen ziemlich abgefahren aus und sie wurden immer größer. Den ganzen Tag über hallte ein Hämmern und Klopfen durch die Straßen. Aus alten Brettern, Decken, Schränken und tausend anderen Sachen vom Sperrmüll zimmerten sich die Jungen und Mädchen die schönsten Unterschlupfe. Es war ein richtiger Wettbewerb im Gange. Immer wieder schleppte irgendwer irgendwas an, das noch irgendwo festgenagelt wurde. Dabei entstanden die wildesten Konstruktionen – verwinkelte Hütten mit schiefen Türmchen, wackligen Terrassen und steilen Treppchen. Manche Aufbauten waren zu gar nichts nutze, sahen aber wirklich super aus.
Schon bald waren fast alle Häuser bemalt. Figuren, Blumen, Bäume, Tiere und Worte schmückten die Wände wie bunte Bänder. Täglich malten die Kinder weiter. Farbdosen und -eimer standen bereit und jeder konnte sich einen Pinsel oder eine Spraydose schnappen und mitmachen.
Was wohl die Bäckersfrau davon hielt? Die hatte sich nämlich vor ein paar Monaten über ein klitzekleines Bild, das jemand an ihre Hauswand gesprayt hatte, so aufgeregt, dass sie die Polizei gerufen hatte. Aber die Bäckersfrau regte sich nicht auf. Erstaunlicherweise regte sich niemand von den Erwachsenen auf. Mit hochgezogenen Knien stiegen sie über alles hinweg, was ihnen im Wege lag. Und das war nicht wenig.
Überall auf dem Gehsteig lagen nämlich Sachen. Manchmal konnten selbst wir nicht erkennen, ob sie den Kindern gehörten oder ob es sich nur um Müll handelte. Aber keiner der wenigen Erwachsenen, die noch draußen herumliefen, beschwerte sich. Als würde es die Kinder und das bunte Treiben gar nicht geben.
»Nichts wird je mehr so sein, wie es war. Was für ein Chaos!«, sagte Sandro, als wir wieder einmal durch die Straßen liefen und uns die Augen müde guckten.
Die Prinzessin nickte und zog die Nase hoch. Sie hatte sich angewöhnt, einen Sturzhelm zu tragen, den wir in Mamas Überlebensausrüstung gefunden hatten. Mama brauchte ihn manchmal, wenn sie in Höhlen oder an anderen gefährlichen Orten herumgrub.
Sandro gab der Prinzessin ein Taschentuch und legte vorsichtig einen Arm um ihre Schultern. Erst gefiel mir das gar nicht. Aber dann gab die Prinzessin mir ihre Hand und ich drückte sie ganz fest.
»Ich vermisse meine Eltern«, sagte sie leise.
Jetzt half auch kein Nase-Hochziehen mehr und Tränen liefen über ihre Wangen. Ich musste mich ganz schön zusammenreißen, weil Jungs ja nicht weinen. Da merkte ich, dass Sandro auch schniefte.
»Darum bauen die Kinder wie die Verrückten an ihrem neuen Zuhause«, sagte er. »So haben sie keine Zeit zum Traurigsein.«
Langsam liefen wir weiter, bis wir an einen großen Vorgarten kamen, vor dem sich eine Gruppe Kinder versammelt hatte. Es waren bestimmt 30 Mädchen und Jungen, die vor dem Zaun in einer Reihe standen. Seltsamerweise trugen sie nur ihre Unterwäsche. Wir blieben stehen und warteten darauf, dass etwas passierte.
»Ich wusste gar nicht, dass hier im Viertel so viele Kinder wohnen«, sagte ich. »Ich dachte, du wohnst hier schon dein ganzes Leben. Das ist doch das kinderreichste Viertel der Stadt«, erwiderte Sandro.
»Ich gehe nicht so oft raus. Nach der Schule bin ich immer
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