Bodycheck (German Edition)
1
Der kleine Briefumschlag roch ganz sanft nach Mama. Manfred nahm den Duft nur unbewusst wahr, doch er weckte zärtliche Erinnerungen: Schokoladenpudding, Strandurlaub auf Amrum und frisch gewaschene Bettwäsche. Manfred warf die restliche Post achtlos auf den Küchentisch. Nun wird sie auf ihre alten Tage noch drollig, dachte er und drehte den Umschlag hin und her. Warum ruft sie nicht an? Er riss den Brief auf und las.
Lieber Manfred,
über Deinen Besuch zu meinem Sechzigsten am Wochenende würde ich mich sehr freuen. Gib Dir bitte einen Ruck, auch wenn Du Eberhard nicht magst. Er gibt sich so viel Mühe mit den Vorbereitungen. Du bist und bleibst mein einziger Sohn. Nur mit Dir wird es eine gelungene Geburtstagsfeier werden. Ich bin mir sehr sicher, dass ich Dir ebenso viel bedeute.
Deine Mutter
PS: Habe eine gute Freundin hier im Dorf. Die hat einen Anbau am Haus, dessen Dach gedeckt werden müsste. Ihr Sohn ist zwar Dachdecker, aber ich habe ihr versprochen, dass Du ihm helfen wirst. Bitte tu mir den Gefallen. Am besten kommst Du schon Freitag, ich habe ein Zimmer für Dich im Gasthof reserviert.
Ach Mama! Ich hasse diese abgepfiffene Gegend im Osten. Ich hasse die Provinz überhaupt. Ich mag diesen Kerl nicht, auch wenn du ihn ins Herz geschlossen hast. Was soll ich dort! Was suchst du dort?
Manfred schaute gedankenverloren zum Fenster hinaus. Er sah Mama, mit kurzen Haaren und sportlich gekleidet, wie sie zusammen mit den Kegelschwestern in den Reisebus stieg, der sie nach Prag brachte. Die Goldene Stadt. Das war jetzt gut zwei Jahre her. In Prag hatte sie Eberhard kennengelernt, der mit ehemaligen Kollegen einen Ausflug unternahm. Ausgerechnet Eberhard, ausgerechnet dieser pensionierte Volkspolizist aus Mecklenburg, aus einem Kaff irgendwo im Nirgendwo. Für Manfred war es Abneigung auf den ersten Blick. Eberhard war untersetzt, mit stattlicher Wampe und ungepflegtem Vollbart. Der Bart hörte anscheinend gar nicht wieder auf, wucherte ohne Unterbrechung von der Oberlippe bis zum Hemdkragen hinab. Wie es darunter weiterging, wusste Manfred nicht aus eigener Anschauung. Ärgerlich strich er sich durch den eigenen, sorgfältig gestutzten Bart.
Was fand sie an diesem Menschen? Vor seinem geistigen Auge sah er Eberhard, wie er stöhnend auf ihr lag. Manfred warf den Brief angewidert auf den Tisch und schaffte erst einmal Ordnung in der Küche, um die unerwünschten Bilder zu verscheuchen.
Doch die Gedanken ließen ihn nicht los: Gab es so etwas wie die naturgegebene Eifersucht auf den Lebensgefährten der Mutter? Außerdem beruhte die Abneigung auf Gegenseitigkeit. Eberhard sah in ihm den Schwulen aus der Großstadt. Manfred strich sich erneut durch den Bart. Die Tatsache, dass er weder Tänzer noch Werbefritze war, schien daran nichts zu ändern. Bisher hatte er Eberhard erst einmal getroffen, als Mama noch in Hamburg wohnte. Eberhard hatte ihn ignoriert oder bestenfalls mit sarkastischen Bemerkungen bedacht.
Manfred klappte die Spülmaschine zu. Eberhards Abneigung war ihm egal. Er lächelte in sich hinein. Vielleicht sollten sie den Zwist bei passender Gelegenheit einmal wie unter richtigen Männern regeln. Macht man das auf dem Lande nicht so? Er ballte die Rechte zur Faust und rieb sie in der Linken.
Vor zehn Monaten war Mama endgültig zu ihrem Freund nach Mecklenburg gezogen, Kleinow hieß das Dorf. Sie fühlte sich auf dem Lande wohl. «Wie früher leben wir dort», sagte sie immer. Da konnte man nichts machen. Immerhin richtete Eberhard Mama zuliebe eine Familienfeier aus. Ob der Dorfklatsch auch schon von Mamas Sohn und dessen ausschweifendem Lebenswandel wusste?
Heute war Donnerstag, er müsste also morgen fahren. Er würde Mama die Bitte nicht abschlagen können, auch wenn er eigentlich gehofft hatte, mit einem schlichten Anruf davonzukommen. Den Brief hatte sie sicher bewusst als kleine liebe Erinnerung geschickt, damit ihm kein Grund für Ausflüchte blieb. Sie konnte ziemlich gerissen sein. Wenn es also sein musste …
Manfred befestigte gerade den Brief mit einem Magnetpinn an der Kühlschranktür, als das Telefon klingelte.
2
Es war Malte. Ob Manfred ihn im Auto mitnehmen würde zur Ringergruppe. Sie machten den gewohnten Treffpunkt aus.
Wie jeden Donnerstag traf sich die Ringergruppe in einer Turnhalle in Altona. Klar hätte Malte auch die S-Bahn nehmen können, schließlich war der nächste Bahnhof gleich um die Ecke. Klar war das ein Umweg für Manfred, doch er machte diesen
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