Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
fallen lassen, wie sie dich da so hoch droben über ihren Schultern reingetragen haben. Wie schade, dass dein guter Papa das nicht mehr hat erleben können; der hat doch auch allemal so gern Grimassen geschnitten und Larifari getrieben, dass es zum Totlachen war. Ein begnadeter Schauspieler ist an dem Walter verloren gegangen...“ Und der Suade wäre kein Ende beschieden gewesen, hätte ihr Momme nicht laut und deutlich aus dem Gastraum nach ihr gerufen, ihm schleunigst wieder bei der Bedienung zu helfen, da er es allein unmöglich schaffe. Das war freilich nur ein Vorwand gewesen, da der örtliche Pfarrer die Bühne betreten hatte. Der bärtige Hüne, der – selbst parteilos – den Linken im Lande sich zurechnen ließ, segnete die Versammelten und forderte sie auf, sich einander brüderlich die Hand zu reichen, um ihre Solidarität zu bekräftigen, was alle ohne Ausnahme und bei allen Unterschieden in der Weltanschauung auch sogleich in gottgefällige Tat umsetzten. Tante Claudia entzog sich, ihrem Mann gehorchend, nur widerstrebend dieser erhebenden Zeremonie, weil sie endlose Auseinandersetzungen mit ihrem Eheherrn fürchtete, der von dem borstigen Gottesmann behauptete, dass der überall, wo er auftauche, – gottverdammich! – Kirchenkram entstehen ließe.
Erdmann Jansen hatte nun schon einige Premieren erlebt, jedoch keine, die von soviel Enthusiasmus getragen ward wie diese. Es war geglückt, halbwüchsige Jungen in einen wahren Spielrausch mitzureißen und die Zuschauer streckenweise vergessen zu machen, dass sie Laiendarsteller vor sich hatten.
Ein hitziges, fruchtbares Foyergespräch entwickelte sich, und nachdem sich der Trubel etwas gelegt hatte, trat Frau Widulle an den Stammtisch des Ensembles, um sich als Willis Mutter vorzustellen, und bat den Chef um ein Gespräch. Überrascht ging Dünnleder, der den Regisseur mitgehen hieß, mit Janine vor in eine alte Remise, die sowohl als Abstellraum für die verwendungslose und größtenteils irreparable Filmausrüstung wie gleichzeitig als provisorisches Büro herhalten musste. Darinnen herrschte eine heillose Unordnung, die gleichwohl etwas Anheimelndes ausstrahlte, wie ein zerwühltes warmes Ehebett, das zum Hineinschlüpfen einlädt. Vor der Tür nahmen der große Willi und Ludolf Friesel bereits eine abwartende Haltung ein.
„Das sind meine Kollegen vom Kombinat, mein Ehekrüppel und Ludolf Friesel“, hub Janine an, nachdem sie alle notdürftig in dem engen Raum Platz gefunden hatten. „Mein Sohn hat mir soviel von ihrer Ensemblearbeit erzählt, dass ich mir nachgerade das Stück nochmals vornehmen musste, das mir natürlich ein Begriff war: Schließlich haben die linksrheinischen Nachbarn der Deutschen den Herrn Schiller zum Ehrenbürger ihrer Republik gemacht damals. Aber trotzdem könnte ich nicht behaupten, das Drama wirklich zu kennen. Kurz und gut: Ich hab´s schleunigst nachgeholt, weil ich den Verdacht nicht loswurde, dass dieses Stück nicht ohne jeden Hintergedanken inszeniert würde.“ Damit zeigte sie ihren lächelnden Gesprächspartnern freundlich die Zähne. „Außerdem begann ich zu mutmaßen, dass die Räuber für unsre Bewegung besonders geeignet wären, welche Vermutung Sie mit der heutigen Aufführung mehr als bestätigt haben, obgleich meine beiden Kollegen hier allerdings“, sie blickte von dem einen auf den anderen, „eine kleine Diskussion deswegen vom Zaum gebrochen haben...“ Auf Erdmann Jansens erstauntes Gesicht hin fügte sie rasch hinzu: „Der Kollege Ehekrüppel, mein Willem also, befürchtet eine allzu große Infektionsgefahr für die ohnedies aufs Erbittertste entflammten Bürger. Jedenfalls sind wir heute alle drei zu Ihnen, Herr Dünnleder“, – und damit wandte sie sich an den Ensemblechef, der offiziell die Truppe führte, obwohl sie durch ihren kleinen Willi längst erfahren hatte, dass der Alte alles Erdmann Jansen überließ –„als den verantwortlichen Leiter gekommen, um anzufragen, ob Sie es so einrichten könnten, für die Brigadisten unseres Kombinats ein paar geschlossene Vorstellungen von den Räubern zu geben?“
„Und ob wir das einrichten können, wa, Boss?“ rief Erdmann Jansen erfreut, seinem Ensembleleiter zublinzelnd, der in Anbetracht der heute auf ihn einstürmenden Segensfälle völlig konsterniert zuerst seinen Havannastummel aus dem Mundwinkel gleiten und dann seine listigen Elefantenäuglein zwischen den drei glücksbringenden Götterboten hin und her irrlichtelieren
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