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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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energisch protestieren...“
    „Einen Augenblick!“ fiel ihr der kleine Mann ins Wort, „nicht gar so aufgeregt. Nehmen Sie doch zunächst einmal Platz, nicht wahr?“
    Carmens Lippen vibrierten; sie dachte nicht daran, seiner Aufforderung Folge zu leisten.
    „Hinsetzen, Genossin!“ rief er.
    Unwillkürlich setzte sie sich. Sich die Lippen verbeißend, dachte sie: Diese regelmäßigen Volksaufstände in Leipzig haben ganz offensichtlich schon den Ton unserer Staatsorgane verpestet! Doch Kaschitza fragte ganz höflich: „Was also führt Sie zu mir, Genossin?“
    „Ich kann Herrn Poniatowski ein Alibi für die fragliche Nacht erbringen, Genosse Hauptmann.“
    „So, können Sie das, Genossin?“ Und als sie nickte, fuhr er fort: „Sparen Sie sich dieses Alibi für eine etwaige Gerichtsverhandlung. Was aber wollen Sie dann aussagen bezüglich dessen, wer die ganze Nacht mit dem Warschauer zusammen war, wer das Gittertor geöffnet und wer mit wem und wie oft und bis wann in der Datsche und im Pavillon den schmerzhaften Rosenkranz gebetet hat, he?“
    Diese Eröffnung traf die Genossin wie ein Blitz; sie wusste nicht, ob und wie viele Informationen der kleine, unscheinbare Mann, in dem der Teufel zu stecken schien, besaß. Nur mit der letzten Anspielung konnte sie nichts anfangen; in der Sektenpolitik der Republik war sie nicht bewandert.
    Kaschitza schlug den Aktendeckel zu und blickte die Genossin mit zusammengekniffenen Augen durchdringend an: „Tja, Genossin, das war´s schon; mehr kann ich nicht tun!“
    Als die kopfschüttelnde Genossin den Raum verlassen hatte, stieß Kaschitza einen tiefen Seufzer aus. Im Augenblick sind mir beide Hände gebunden, dachte er, aber die Zeit wird kommen...
    Und dann war der Premierenabend da gewesen, der Saal vollgefüllt mit Menschen und Stimmengewirr und Stühlerücken.
Michaela ließ sich ergreifen wie alle anderen vom ersten bis zum letzten Gong, vom ächzend aufschwebenden Vorhang, von Franzens „Pfaffengewäsche“, seiner Philosophie der Verzweiflung, dem Brief in seinen Händen „von unserem Korrespondenten in Leipzig.“ Sie muss an die Nachrichten denken von ihrem Jürgen, lässt sich aber sogleich mit- und fortreißen aus ihren düsteren Gedanken durch die beeindruckenden Leistungen der Schauspieler, die dem Publikum tiefste Betroffenheit vermitteln: „Wisst ihr auch, dass man uns auskundschaftet?“ Auch als Roller – vor seinem allzu frühen Tod – davon spricht, dass das Tier auch seinen Kopf haben müsse, ergo „auch die Freiheit ihren Herrn“ brauche, worauf man Karl zum Räuberhauptmann wählte, statt des Spiegelberg . Und wie Karl endlich mit aller Deutlichkeit den Trugschluss erkannte, zu wähnen, „die Welt durch Gräuel verschönern und die Gesetze durch Gesetzlosigkeit aufrecht halten“ zu können, und zum Schluss erfahren muss, „dass zwei Menschen wie er den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrunde richten würden“, worauf er – sich dieser höheren Einsicht fügend – die Räuberbande auflöst und sich der Justiz stellt.  
    Es hatten sich noch über Erdmann Jansens Erwartungen hinaus nicht nur die Seelen der jungen Menschen an Schillers Pathos entzündet. Wenn es in einem noch erhaltenen Bericht von der Uraufführung der Räuber im Jahre 1782 hieß, dass die Mannheimer National-Bühne einem „Irrenhaus glich, in dem fremde Menschen einander schluchzend in die Arme fielen“ und dass „eine allgemeine Auflösung war wie ein Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht“, so ließ sich zweifellos mit Fug und Recht behaupten, dass die Berliner auf dem Prenzlauer Berg nach dem letzten Fallen des Vorhanges den Nordbadenern durchaus Konkurrenz zu machen imstande waren. Einen solchen berlinerischen Überschwang, begleitet von Umarmungen und Dankesbezeigungen, vor allem für den Initiator, Spielleiter und Darsteller Erdmann Jansen, fanden sogar hart gesottene, theaterbesessene Besucher ungewöhnlich.  
    Selbst Claudinchen, Gustavs Tante, hatte sich die Premiere – von der hintersten Reihe des Saales aus – trotz des Betriebes in der Kulturhauskneipe angeschaut. Überschwänglich umarmte und küsste sie ihren Neffen – Gott sei Dank auf die Wangen! – und ließ ihn wieder die Wolke ihres Lavendelduftes riechen, der von ihrem mächtigen Busen aufstieg. „Also, Tävchen, das hast du großartig gemacht, ich bin mächtig stolz auf dich! Wie du den Räuber gespielt hast! Da hab´ ich nur Angst bekommen, dass dich die Kameraden

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