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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Tatsächlich trank er gern sein Pils in irgendeiner Kneipe und schmauchte seine Selbstgedrehten dazu.  
    Und doch verbarg sich hinter dieser Grauen-Maus-Fassade ein gescheiter Kopf, dem ein untrüglicher Instinkt innewohnte für alles, `was nicht koscher war im Staate Dänemark´, wie er sich unverfänglich auszudrücken beliebte. In ihm steckte auch ein Psychologe, dem niemand so leicht etwas vormachen konnte. Hinter seinem abgenutzten Schreibtisch aus der Nachkriegszeit hatte er schon manch undurchsichtige Affäre aufgeklärt, an der sich andere die Zähne ausgebissen hätten. Dieser mysteriöse Fall einer Frau namens Geneviève La Bruyère war ihm erst tags zuvor unverhofft übertragen worden, und er gedachte zumindest noch die – von ihm selbst – anberaumten Termine wahrzunehmen; er hasste halbe Sachen.
    „Soll warten, ich rufe dann schon durch, wenn es soweit ist“, knurrte er, als ihm sein junger Mitarbeiter, ein richtiger Grünschnabel mit schwarzem Lockenkopf und Hornbrille, in ehrfurchtsvollem Tonfall das Eintreffen der Genossin Carmen Denikin meldete. Er schaute nach, aber diese Dame stand nicht auf seinem Terminkalender.
    „Aber die Genossin sagt, es sei äußerst wichtig und ihre Zeit knapp bemessen“, wagte der junge Mann einzuwenden.
    „Sind wohl verrückt geworden“, herrschte Kaschitza ihn an, „habe ich mich etwa nicht deutlich genug ausgedrückt? Oder zu leise, he?“ Worauf der Gescholtene sich katzbuckelnd zurückzog, nicht begreifend, wie man eine Genossin – und dazu eine so hübsche gar – warten lassen konnte. Doch Kaschitza wusste sehr wohl, warum er den Besuch nicht gleich empfing.  
    Wieder einmal kam er sich wie ein Spürhund vor, der bereits die Fährte aufgenommen hat und dem man auf halbem Weg ein parfümiertes Tuch um die Nase band, damit er nicht weiter schnuppern konnte. Wenn er einen Fall bearbeitete, kannte er keinen Klassenstandpunkt mehr und verfolgte rücksichtslos die Spur, und wenn sie geradenwegs in einen Parteitag führen mochte. Von diesem Bewusstsein war er dermaßen durchdrungen, dass er sich damit jedwede Beförderung verdorben hatte. Einmal, als er wieder allzu gewissenhaft in einem Fall schlimmster Korruption herumgeschnüffelt hatte, wurde die Aufklärung von oben verhindert, indem man ihm die Nachforschungen kurz vor der endgültigen Überführung der Schuldigen, die unweigerlich ein gerichtliches Verfahren peinlichster Art nach sich gezogen hätte, aus den Händen nahm, da Angehörige bestimmter höherer Kreise darin verwickeln waren. Und dieser scheinheilige Telefonanruf des hohen Genossen – wie stets in Seidenpapier verpackt und mit dem originalen parteichinesischen Schmus – bedeutete nichts weniger, als die strikte Untersagung, an diese unkommunistischen Exzesse auch nur zu rühren.
    Den Namen Denikin konnte er noch nicht recht einordnen, aber man würde sehen. Hauptmann Kaschitza klingelte seinen Mitarbeiter an, er lasse bitten. Der junge Mann ließ mit devoter Verbeugung die werte Genossin eintreten, die – empört darüber, dass man sie so lange hatte warten lassen – sogleich erregt den Schreibtisch des Hauptmanns ansteuerte. Der blassgesichtige Vorzimmerherr hatte ihr bereits verraten, dass der junge Genosse Leutnant Kaulbarsch nach Leipzig beordert wäre und an seiner Stelle der Genosse Hauptmann Kaschitza die Untersuchung führe – ein ganz Scharfer!
    Als Carmen Denikin den unscheinbaren Mann, der – wie sie indigniert auf den ersten Blick feststellte – noch nicht einmal richtig rasiert war, hinter dem Schreibtisch hocken sah, glaubte sie, von vornherein Oberwasser zu haben, so dass ihr Gruß dementsprechend borniert und von oben herab ausfiel.
    „Genosse Hauptmann“, rief sie, „es ist einfach empörend, dass man Herrn Poniatowski verhaftet und eingesperrt hat. Er ist vollkommen unschuldig an allem, und ich kann das auch beweisen.“
    Kaschitza verzog keine Miene. Stumm blätterte er in seinen Akten. Kopfschüttelnd brummelte er etwas vor sich hin, und erst zwei Minuten später schien ihm einzufallen, dass Besuch da war. Er blickte auf: „Wer sind Sie überhaupt?“
    Carmen war perplex. Sekundenlang verschlug es ihr die Sprache. „Ihr junger Mann draußen“, sagte sie patzig, „hat mich schon vor mehr als einer halben Stunde angemeldet.“ Sie sah ihn herausfordernd an und fuhr sehr prononciert fort: „Ich bin die Genossin Carmen Denikin und komme wegen der ungerechtfertigten Verhaftung von Boleslaw Poniatowski, wogegen ich

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