Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
Vom Netzwerk:
Antwort gegeben hat?“
    Friederike, obgleich im Augenblick mehr mit ihrer eigenen Angelegenheit beschäftigt, konnte doch bei seinem ungewöhnlich eindringlichen Ton nicht umhin aufzuhorchen; schließlich hing möglicherweise tatsächlich ihrer aller Existenz von den zukünftigen Ereignissen ab.
    Der greise Genosse wandte den Kopf halb zu ihr und sagte trocken: „`Wir können nur hoffen´, haben sie mir zur Antwort gegeben, `dass die Partei dem chinesischen Beispiel folgt oder wenigstens dem Nicolae´; herrlich, was?“ Er starrte wieder zum Fenster hinaus, während Friederike beschloss, ihren Anwalt Dr. Romboy in seiner Eigenschaft als Justitiar zu bitten, die Valuta-Angelegenheiten bei der Bank für Gemeinwirtschaft in West-Berlin...
    „Jetzt hör mir mal genau zu!“ Hippolyt, ihr alter Freund und Kampfgenosse in schwerer Zeit, unterbrach ihre Gedankengänge. „Die Verfassung hier bei uns ist also nun wirklich alles andere als rosig, sehr bedenklich sogar. Weißt du, dass sie schon Akten sichten, um die Dossiers der konterrevolutionären Kräfte aufzusplitten, um sie eventuell bei späterem Bedarf...“ Friederike machte große Augen, weil sie nicht begriff. „Ja, liebes Fritzjen“, fügte er seufzend hinzu, „so sieht´s aus. Der Kapitalismus feiert fröhliche Urständ, und schon kaufen sie für wertvolle Devisen billige Bananen, um das Volk zu beschwichtigen. Wie im alten Rom! Aber hier wird es heißen: Panik et circenses!“ Er hielt hüstelnd inne, um nach seiner halb gerauchten Havanna zu greifen, fragte zerstreut: „Du erlaubst doch?“ und zündete sie an, ohne erst eine Antwort abzuwarten. Er blies den Rauch schräg vor sich an die Decke, bevor er fortfuhr: „Apropos: Da ist dann sogar der Fidel gar nicht mehr fidel! Und ich will den Teufel ja auch nicht an die Wand malen, aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der Sozialismus – wenigstens in seiner Jetztform – am längsten existiert hat. Das ist der hauptsächliche Grund, auf unserer Ebene jeden Skandal zu vermeiden, damit es uns nicht genauso ergeht wie den Genossen in Ungarn, die sich beim Sägen an ihrem eigenen Ast auch noch Hilfe erbitten... Nun, lassen wir das jetzt. Tja, Fritzjen, du musst mich gar nicht so skeptisch ansehen! Was meinst du, wie viel oppositionelle Foren und Splittergrüppchen hier bei uns ihre konterrevolutionäre Wühlarbeit betreiben? – Was ich dir eben gesagt habe, bleibt selbstredend unter uns, nicht wahr? – Und ich will dir damit nur begreiflich machen, wie ernst und bedrohlich die Realität für uns aussieht.“ Auf eine nervöse Bewegung Friederikes hin, die allmählich ungeduldig wurde, unterbrach er sich, um indigniert zu schließen: „Tja, also Fritzjen, bei aller Liebe und Solidarität: ob ich in deiner Sache etwas ausrichten kann... Ich weiß es nicht. Wenn bloß das böse Wort vom `Damenzirkel´ nicht die Runde machen würde.“ Er seufzte. „Habt ihr denn niemals daran gedacht, dass die Partei alles weiß, weil sie alles hört? In jedem Haus, jedem Pavillon, jeder Laube und jeder Wand, auch und gerade in der Waldsiedlung?“ Er stieß abermals einen tiefen Seufzer aus. „Allerdings hat unsere Staatssicherheit den Fall und den Polacken fest im Griff, bald werden sich die sowjetischen Genossen darum kümmern; allzu viele graue Haare würde ich mir also an deiner Stelle nicht wachsen lassen.“ Er griff sich in die linke Seite und verzog schmerzlich das Gesicht; diese Unterredung hatte ihn doch gehörig mitgenommen, er würde es in den nächsten Stunden zu büßen haben. Er verabschiedete sich daher knapp von seiner Parteigenossin ohne den ihm sonst eigenen brüderlichen Charme.  
     
    Eine Viertelstunde später erhielt der Genosse Hauptmann Kaschitza von der Abteilung Mord der Volkspolizei einen Anruf.
Der nach Leipzig beorderte Leutnant Kaulbarsch habe den Fall so gut wie abgeschlossen, der Rest könne aus den Unterlagen der Staatssicherheit erledigt werden; er, Kaschitza, könne die Akte Vandalitzer Frauentodesfall schließen.
Dieser Kaschitza indes war ein Unikum. Wer ihm zufällig auf der Straße begegnete, könnte sich später nur noch daran erinnern, einen harmlosen Rentner gesehen zu haben; sein Gesicht würde kein Mensch mehr beschreiben können. Klein, grauhaarig und schlecht rasiert, mit einem Seehundsbart und kleinen, tiefliegenden Äuglein hatte er so gar nichts von einem Kriminalisten an sich; er wirkte unscheinbar, berlinerisch-gemütlich und keinesfalls gefährlich.

Weitere Kostenlose Bücher