Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
„Können wir kurz unter vier Augen …?“ Die Frau Doktor winkte ab. „Alles, was Sie hier erzählen, bleibt vertraulich – so lange, bis Sie vor Gericht vielleicht noch einmal dazu befragt werden. Der Kollege ist absolut vertrauenswürdig.“ Bei dem Wort „Gericht“ war die Frau Schneider, hatte Gasperlmaier beobachtet, merklich zusammengezuckt.
Die Frau Schneider bewunderte jetzt ebenfalls die Aussicht aus dem Fenster, während sie weitersprach. „Sie hat öfter Affären mit Männern gehabt. Ich hab manchmal für sie gelogen. Und sie … für mich – wie ich noch verheiratet war“, kam es nun sehr zögernd. „Ihr Mann war zwar irgendwie lieb, aber so unbeholfen und desinteressiert, was ihre Beziehung angegangen ist. Sie war halt viel unternehmungslustiger und hat sich nach mehr gesehnt, als ihr Mann ihr gegeben hat.“ „Frau Schneider“, mischte sich jetzt die Frau Doktor ein, „wir bewerten in keinem Fall Moral oder Anstand, das ist nicht unser Geschäft, es ist also überhaupt nicht notwendig, die Frau Eisel zu rechtfertigen. Was ich wissen möchte, ist, ob Sie wissen, mit wem sie über das Wochenende, und vor allem am Montag, zusammen war.“ Die Frau Schneider seufzte. „Sie hat ein Geheimnis draus gemacht, sie hat mir ja nicht immer von ihren Liebhabern erzählt. ‚Je weniger du weißt, desto besser!‘, hat sie mir oft gesagt. Ich selber war ja wirklich in Schallerbach, auf einer Tourismustagung, aber nur bis zum Samstagabend. Danach habe ich nicht viel unternommen, weil das Wetter ja so schlecht war. Im Auftrag der Simone hab ich sonntagabends noch ihren Mann angerufen und ihm eine kleine Geschichte erzählt, dass ihre Abwesenheit am Montag auch noch gedeckt ist.“
„Frau Schneider, gibt es jemanden, der bestätigen kann, wo Sie am Wochenende waren?“ „Brauche ich jetzt ein Alibi?“ Die Frau Schneider wirkte erschrocken und verunsichert. „Wir müssen alles klären, was irgendwie in Zusammenhang mit der Frau Eisel steht“, beruhigte sie die Frau Doktor. Die Frau Schneider nickte. „Ich lebe ja allein, und den ganzen Sonntag habe ich niemanden gesehen.“ „Kennen Sie Männer, mit denen Frau Eisel ein Verhältnis hatte?“, hakte die Frau Doktor nach. „Muss ich das jetzt sagen?“ Die Frau Doktor hob die offenen Handflächen. „Sie können ihr nicht mehr helfen, indem Sie was verschweigen. Wenn Sie uns alle Informationen geben, die Sie haben, helfen Sie uns, ihren Tod aufzuklären.“
„Sicher weiß ich nur von einem. Der arbeitet als Lehrer hier in der Tourismusschule. Allerdings hat er sich extra hierher versetzen lassen, weil er sich von ihr trennen wollte. Er heißt Fritzenwallner.“ Bei der Nennung des Namens, so kam es Gasperlmaier vor, lag ein wenig Verachtung in der Stimme der Frau Schneider. Die Frau Doktor nickte. „Das bestätigt eine Aussage, die wir schon haben.“ Die Frau Eisel, so dachte Gasperlmaier bei sich, das musste offenbar eine gewesen sein, die den Männern gleich reihenweise die Köpfe verdreht hatte, so wie das jetzt aussah. Kein Wunder, dass einem einmal der Kragen geplatzt war und er sie die Loserwand hinuntergeschmissen hatte. Gasperlmaier hatte einmal eine Aufführung von „Carmen“ in einem Freilufttheater gesehen, wo das genau gewesen war, konnte er sich nicht mehr erinnern. Jedenfalls hatte ihn die Christine dazu überredet, und sie waren stundenlang im Bus dorthingefahren, und dann war es dort eiskalt gewesen, und ein paarmal hatte es sogar getröpfelt. Jedenfalls, so erinnerte er sich, hatte die Carmen ihren Verehrer mit ihren Spielchen – einmal schon, einmal nicht, dann wieder vielleicht doch – fast an den Rand des Wahnsinns getrieben und Gasperlmaier hatte sich, als es dann so weit war und der Verehrer der Carmen in einem Anfall von rasender Eifersucht ein Messer zwischen die Rippen gerammt hatte, gut vorstellen können, dass auch ihn diese Frau so weit hätte treiben können. Wo er doch sonst eher ein ruhiger Charakter war. Wenn die Frau Eisel auch so eine Carmen gewesen war …
Gasperlmaier verbat sich derlei Gedanken. Es konnte wohl nicht angehen, dass man dem Opfer die Schuld zuschob. Eifersucht hin oder her. Gasperlmaier musste beim Stichwort „Eifersucht“ an den Beda Venerabilis denken, der ihn gestern eigentlich auch in maßlose Wut versetzt hatte. Und je mehr er an ihn dachte, desto heißer brannte auch der Stachel in ihm, den ihm die Christine mit ihrer unverhohlenen Verehrung des komischen Minnesängers ins Fleisch
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