Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
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Diesen Anblick hätte sich Gasperlmaier gern erspart. Das hätte er nicht unbedingt sehen müssen, noch dazu an einem Tag, an dem einem das Wetter allein schon Depressionen verursachte. Graue Nebelfetzen zogen an Gasperlmaier vorüber, ein feiner Nieselregen besprühte sein Gesicht, sodass sich schon ein kleiner Tropfen an seiner Nasenspitze gebildet hatte, und ein heftiger Wind zerrte von Norden her an seiner Dienstmütze, die er gelegentlich, wenn eine besonders heftige Bö vorüberheulte, sogar festhalten musste. Und das im Oktober schon. Und dann noch das.
Dabei hatte sich der Tag ganz entspannt angelassen. Nach einer kleinen Runde durch den Ort, der üblichen Anzeige der Frau Haselbrunner wegen Besitzstörung – die Schulkinder hatten wieder einmal eine Abkürzung über eines ihrer Grundstücke genommen – und einer kurzen Fahrt nach Aussee hinunter wegen ein paar kleinerer bürokratischer Angelegenheiten hatten sich der Kahlß Friedrich, der Postenkommandant, und er auf dem Posten in Altaussee zusammengefunden, um zu beratschlagen, was man denn zur Jause besorgen sollte.
Gasperlmaier war für warmen Leberkäse – da galt es allerdings, sich zu beeilen. „Weil die“, so wurde er nicht müde, dem Friedrich zu erklären, „im Geschäft so ungeschickt sind, dass sie sich ein ums andere Mal nicht merken können, wie viel warmen Leberkäse sie für die Jausenzeit herrichten müssen.“ So um neun herum kamen die Arbeiter und Angestellten der umliegenden Firmen und Büros – ohnehin nur wenige Dutzend – gewöhnlich im örtlichen Supermarkt vorbei. Und wenn man da zögerte, wusste Gasperlmaier, und etwa um zwanzig nach neun oder gar erst um halb zehn vorbeischaute, um seinen warmen Leberkäse abzuholen, da stand man dann vor einem leeren Leberkäse-Wärmebehälter. „Leider aus!“, hieß es dann mit einem Schulterzucken der Verkäuferin, so, als sei man gerade heute vom Ansturm der Leute, die Gusto auf warmen Leberkäse verspürten, völlig überrascht, ja geradezu überrollt worden.
„Wir könnten natürlich auch zum Schneiderwirt hinübergehen, ein Paar Würstel essen“, wandte der Friedrich ein, der es lieber hatte, wenn er sich an einen ordentlichen Tisch setzen konnte, wo man ihm das Essen hinstellte. Dabei, so dachte Gasperlmaier manchmal bei sich, wäre es für den Kahlß Friedrich ohnehin besser gewesen, statt der Würstel oder des Leberkäses einen Apfel oder eine Banane zu essen, denn seine Leibesfülle hatte in den letzten Jahren so bedenklich zugenommen, dass der Friedrich gelegentlich schon heftig schnaufen musste, wenn er nur ein paar Stufen hinaufstieg.
Gerade als die Unentschlossenheit der beiden, was die Jause betraf, ihren Höhepunkt zu erreichen drohte – Gasperlmaier schwieg, der Kahlß Friedrich seufzte –, läutete das Telefon. Gasperlmaiers Vorgesetzter hob ab, hörte geduldig zu, schnaufte gelegentlich ins Telefon und brummte dann und wann ein „Aha!“ oder „So was!“ dazwischen. Noch war nicht lange gesprochen worden, da legte der Friedrich auch schon wieder auf, erhob sich und langte nach seiner Dienstmütze, die griffbereit an der Garderobe hing. „Gasperlmaier!“, ächzte er, „Auf geht’s!“ So gut kannte Gasperlmaier den Friedrich schon, dass er ihm folgte, ohne viele Fragen zu stellen. Die notwendige Information würde er auf dem Weg zum Einsatzort schon bekommen.
Gasperlmaier nahm sein eigenes Kapperl, holte noch schnell – angesichts des Regens draußen – den durchsichtigen Plastiküberzug für die Dienstmütze aus seiner Schreibtischschublade und folgte dem Friedrich nach draußen. Der hatte sich indessen in den Fahrersitz des Geländewagens der Altausseer Polizei gezwängt.
„Auf den Loser müssen wir!“, begann der Kahlß Gasperlmaier ins Bild zu setzen. Der Loser war sozusagen der Hausberg der Altausseer. Im Sommer stieg man gerne hinauf, um von droben die wunderbare Aussicht aufs Ausseerland zu genießen, und im Winter gebrauchte man ihn zum Skifahren. „Sie haben auf der Loserhütte einen komischen Anruf bekommen. Da hat einer ganz hysterisch angerufen, dass seine Frau abgestürzt ist, und dass er Hilfe braucht.“ Gasperlmaier fragte sich, wer bei einem solchen Wetter wie heute Lust hatte, auf den Loser zu steigen, nur um gleich darauf wieder herunterzufallen und der Polizei Scherereien zu bereiten. Außerdem fragte er sich, warum da gleich die Polizei herbeigerufen wurde. Genügte nicht die Bergrettung? Seine Bedenken teilte er dem Kahlß
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