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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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Küche und stelle mich wieder dicht an den Durchgang.
    Ich höre, wie Rita sagt: »Ich sehe so alt aus.«
    Da hat sie recht. Und zwar wie mindestens hundertzehn.
    »Lelle! Verschwinde aus der Küche!«
    Das war Mama. Manchmal denke ich, sie kann durch Wände sehen. Trotzdem tue ich so, als sei ich nie da gewesen, und schleiche stumm in mein Zimmer zurück.
    Da drücke ich mich ans Fenster und gucke raus zu den kleinen Nachbarsmädchen mit den geflochtenen Zöpfen in ihren rosafarbenen Kleidchen, die wie zwei bekloppte Aufziehmännchen ihr Springseil schwingen. Ich frage mich, wie lange die das noch durchhalten werden. Dieses Gehopse kann doch nicht gesund sein.
    Ich - für meinen Teil - will alles tun, um mich möglichst gesund zu erhalten. Hundertzehn. So alt will ich nämlich werden. Wenn nicht sogar hundertzwanzig. Meine Freundin Alina, die in der Schule neben mir sitzt, meint: »Das kannst du vergessen. So alt wird kein Mensch. Schon gar nicht, wenn er so wenig isst wie du.« Voll behämmert. Ich glaube fest daran, dass jeder für sich selbst bestimmen kann, wann er ins Gras beißt. Und wenn ich zweihundert Jahre alt werden will, dann kriege ich das auch hin. Das Blöde ist nur, dass Alina es nicht mitkriegen würde, weil die sich ja jetzt schon auf das durchschnittliche Sterbealter von achtundsiebzig eingependelt hat. Alina meint: »Dann bin ich alt genug.« - »Wofür?«, frage ich mich. Alina ist manchmal richtig beschränkt. Das liegt daran, dass ihre Eltern so dämlich sind. Die haben bereits aufgegeben. Die machen nichts anderes, als bräsig auf dem Sofa rumzusitzen und fernzuglotzen. Die haben sich nichts zu sagen. Warten einfach, bis sie endlich abtreten dürfen. Ihre - ich nenne sie jetzt mal - »Totheit« hat schon total auf Alina abgefärbt. Die redet auch dauernd davon, dass das Leben eine einzige Marter ist, die es zu überstehen gilt. Ich muss echt aufpassen, dass sie mich mit dieser Lebensmüdigkeit nicht ansteckt. Ich meine, die beiden Yorkshireterrier von denen wirken auch schon richtig depressiv.
    Plötzlich hören die Nachbarsmädchen mit ihrem irren Hüpfen auf, packen ihre Springseile ein und verschwinden nebenan im Haus. Wahrscheinlich hat ihre Mutti sie zum Mittagessen reingewunken. Und vor meiner Zimmertür tut sich auch etwas. Die Stimmen von Mama und Rita dringen dumpf zu mir durch.
    »Die Mädchen werden durchdrehen.«
    »Nun warte doch erst einmal ab.«
    »Alice und Susanna reden ja jetzt schon nicht mehr mit mir.«
    Dann klappt die Haustür zu und Rita watschelt in ihrem Blumenkleid vor meinem Fenster vorbei, ohne zu mir zu gucken. Sie hat wirklich ein ziemlich breites Hinterteil. Das kommt mit dem Alter, meint Mama. Kann ja sein, aber das gilt nicht für mich. Da springe ich lieber Springseil, bis der Arzt kommt.
    Ich höre, wie die Windfangtür geschlossen wird und meine Tür aufgeht. Mama steht hinter mir und meint: »Tut mir leid, Lelle. Ich musste mich erst mal um Rita kümmern. Ihr geht es nicht gut.«
    Ich nicke. »Kannst du trotzdem nächstes Mal anklopfen, bevor du reinkommst?«
    »Oh, entschuldige. Das habe ich vergessen.«
    Wie immer. In diesem Haus wird nie angeklopft und gewartet, bis »Herein« gerufen wird. Meine Therapeutin Frau Thomas sagt: »Das muss sich ändern. Jeder Mensch braucht seine Intimsphäre.« Da gebe ich ihr vollkommen recht. Leider kümmert das hier niemanden. Was interessant ist, da Mama sich über nichts anderes Gedanken macht, als dass meine Schwester Cotsch und ich uns »psychisch in eine gesunde Richtung« entwickeln. So wird das nie was. Bevor ich innerlich einen Hass kriege, folge ich Mama in die Küche. Sie ist schon wieder so was von durch den Wind. Mit zittrigen Händen kippt sie die Kartoffeln aus dem Sack in die Spüle und hält mir den zweiten Sparschäler hin. Ich frage mich wirklich, was da zwischen Mama und Rita läuft. Normal ist das in jedem Fall nicht.
    Darum frage ich: »Und? Was ist mit Rita los?«
    »Das kann ich dir nicht sagen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil es etwas sehr Ernstes ist!«
    »Und was sagt Rita dazu?«
    »Wozu?«
    »Na, dazu!«
    Mama guckt mich komisch an, mit ihren Gedanken ist sie weit weg. In ihrem Rita-Universum.
    Ich frage: »Will Rainer sich von Rita scheiden lassen?«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Nur so.«
    Mama guckt mich immer noch mit großen Augen an und ich zucke mit den Schultern. Ich meine, was kann sonst das Problem sein? Die Tante ist echt am Verwelken. So viel ist mal klar. Die sollte zusehen,

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