Eine Japanerin in Florenz
Ein Maimorgen in Florenz, so kühl und frisch wie aus dem Bilderbuch. Morgens um sieben ist Guarnaccias Welt noch in Ordnung – doch schon um elf wird er in die Boboli-Gärten gerufen, wo in einem kleinen Teich die Leiche einer jungen Frau gefunden wurde.
Zunächst ist die Leiche nicht zu identifizieren, denn die Fische haben vom Gesicht nicht viel übriggelassen. Aber Guarnaccias Hartnäckigkeit wird belohnt: Es stellt sich schließlich heraus, daß es sich um eine Japanerin handelt. Doch Akiko, die junge Japanerin, war nicht etwa eine Touristin, sondern eine unkonventionelle junge Frau, die ihre Heimat verlassen hatte, um ein florentinisches Kunsthandwerk zu erlernen: Sie war der begabteste Lehrling, den der bärbeißige Peruzzi jemals in seiner Schuhwerkstatt hatte, und der Witwer hatte große Pläne mit ihr. Sie, die in einem Jahr all das lernte, wozu er seinerzeit fünf Jahre gebraucht hatte, wäre würdig gewesen, sein Geschäft mit den berühmten handgenähten Florentiner Schuhen weiterzuführen. Doch dann, von einem Tag auf den anderen, war sie verschwunden …
MAGDALEN NABB wurde 1947 in Church, einem Dorf in Lancashire, England, geboren. Sie studierte an der Kunsthochschule in Manchester und begann dort zu schreiben. Seit 1975 lebt und arbeitet sie als Journalistin und Schriftstellerin in Florenz. Ihre Guarnaccia-Krimis machten sie berühmt – bisher sind zwölf Romane mit dem sympathischen Maresciallo erschienen –, doch sie schreibt auch sehr erfolgreich für Kinder und Jugendliche.
1
Es war einer jener vollkommenen Morgen, wie es sie nur im Mai geben kann, warm und doch frisch, mit einem Himmel, dessen Blau sonst nur im Malkasten zu finden ist. Selbst wenn der Maresciallo gewußt hätte, was der Tag noch bringt, an diesem Morgen hätte er es nicht für möglich gehalten. Lorenzini hatte versucht, ihn auf dem Weg nach draußen aufzuhalten.
»Wollen Sie sich nicht lieber fahren lassen?«
»Nein, danke. Zu Fuß bin ich genauso schnell …« Beinahe fluchtartig verließ er die Wache, denn er hatte es eilig, nach draußen zu kommen. Unmöglich, Lorenzini das zu erklären, der sein stellvertretender Dienststellenleiter und ein waschechter Toskaner mit deren typisch nüchterner Lebenseinstellung war. Gleich bei seiner Ankunft hatte der Maresciallo das Fenster seines kleinen Büros geöffnet, den Sonnenschein geschnuppert und sofort gewußt, daß ein wunderbarer Morgen auf ihn wartete. Mit viel Lärm und Gewusel würden sich die Florentiner auf den Tag einstimmen. Der Maresciallo trat aus dem kühlen Schatten des mächtigen Steinbogens in das blendende Sonnenlicht der Pitti Piazza und tastete nach seiner Sonnenbrille. Schlag acht hob der Dirigent seinen Stab. Von dem Gerüst an der Fassade des Palazzo Pitti dröhnten kräftige Hammerschläge, im Takt mit dem Dutzend unmelodiöser Kirchenglocken. Lautes Hupen kündigte den ersten Verkehrsstau des Tages an, der sich vor dem Vorplatz wegen der Straßenarbeiten aufbaute. Ein Bohrhammer lärmte.
»Guten Morgen, Maresciallo Guarnaccia!«
»Oh, hallo! Guten Morgen, Signora. Wie geht es Ihrer Frau Mutter?«
»Sie soll morgen aus dem Krankenhaus entlassen werden. Aber natürlich dürfen wir nicht erwarten, daß …«
Das, was wir nicht erwarten durften, ging im dröhnenden Lärm des Bohrhammers unter. Der Maresciallo eilte mit einer gemurmelten Antwort weiter und bahnte sich einen Weg durch die Autoschlange zu der Café-Bar auf der anderen Seite der Piazza.
Die Café-Bar war voll mit Gästen, die frühstückten. Die zischende Espressomaschine verströmte köstlichen Kaffeeduft. Drei sommerlich gekleidete Frauen blockierten, ins Gespräch vertieft, den Zugang zur Theke.
»Versteht mich nicht falsch. Eigentlich habe ich nichts gegen sie. Sie ist eine nette Frau, richtig entzückend, fast schon eine Heilige. Aber sie ist größenwahnsinnig.«
Der Maresciallo nahm die Sonnenbrille ab und starrte die Frau an, die gerade gesprochen hatte. Sie trug reichlich Schmuck und sah aus, als käme sie gerade vom Friseur, was um diese Uhrzeit ja wohl kaum möglich war, oder etwa doch …? Über ihren Kopf hinweg bedeutete ihm der Mann hinter der Theke, daß sein Kaffee bereits in Arbeit war.
Der Maresciallo wandte sich von der Parfümwolke der Frau ab und sog den Duft von Konfitüre und Vanille ein. Er beschloß, sich an diesem Morgen ausnahmsweise eine warme Brioche zu gönnen, vielleicht, weil es so ein wunderschöner Morgen war, oder vielleicht auch
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