112 - Der tägliche Wahnsinn
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Vorwort
Flammen schlagen aus dem Fenster! Mit quietschenden Reifen hält der Löschbomber vor dem Haus, harte Männer in martialisch aussehender Kleidung laufen mit der Axt in die brennende Wohnung, erwürgen das Feuer mit bloßen Händen und stiefeln dampfend, mit einem Kind auf dem Arm, wieder aus Rauchschwaden heraus. Das Kind bekommt am Löschfahrzeug einen Teddy überreicht, der Held die Telefonnummer der überglücklichen alleinerziehenden jungen Mutter.
Konzentriert dreinblickende Männer drücken auf einer wunderschönen Fünfundzwanzigjährigen mit blondem Haar herum, bis sie einmal kurz hustet, die Augen aufschlägt und sich, noch leicht benommen, bei dem strahlenden Notarzt bedankt, während das dramatische Dauerpiepsen des EKG -Geräts wieder in einen regelmäßigen Rhythmus übergeht.
So weit die «Schulungsvideos» aus Hollywood, also die Filme, in denen es um Feuerwehreinsätze geht. Da hat man es immer mit Geschichten von Helden zu tun, die permanent ihr Leben riskieren, um das von anderen aus einem Inferno zu retten.
Der Dienst eines Feuerwehrmanns sieht aber anders aus. Doch wie? Wie ist seine Wirklichkeit?
Zunächst einmal: Bei den Berufsfeuerwehren in Nordrhein-Westfalen – und zu einer solchen gehöre ich – wird auf den «multifunktionalen Feuerwehrmann» gesetzt, der sowohl im klassischen Brandschutz als auch im Rettungsdienst einsetzbar ist. Bis auf einige Spezialaufgaben, für die Höhenretter oder Taucher angefordert werden, beinhaltet die Ausbildung eines Feuerwehrmanns das gesamte Spektrum im Bereich Hilfeleistung. So werde ich aus diesem Grund von Schicht zu Schicht mal auf dem Löschfahrzeug oder der Drehleiter eingeteilt, mal auf dem Rettungswagen oder dem Notarzt-Einsatzfahrzeug.
Das tägliche Geschäft der Feuerwehr ist oft unauffällig. Eine Dienstschicht ist bei den meisten Feuerwehren vierundzwanzig Stunden lang, darauf folgen achtundvierzig Stunden Freizeit. Während der Dienstzeit werden – unterbrochen von den Einsätzen – die Fahrzeuge und Geräte in Ordnung gehalten, die auf der Wache anfallenden Instandhaltungsarbeiten durchgeführt, man hat Unterrichtsstunden, Übungen und macht Sport. Dieser Rhythmus wiederholt sich, ganz gleich ob es Sonntag ist, Weihnachten oder Ostern. Der Schichtplan ist so regelmäßig, dass ich heute schon sagen kann: Sollte ich nicht in eine andere Dienstgruppe versetzt werden, gehe ich nach einer Donnerstag-/Freitag-Schicht in Pension. Bis dahin werde ich bestimmt noch viele belanglose Einsätze erleben, aber mit Sicherheit auch einige ungewöhnliche und spektakuläre Fälle.
Die Heldengeschichten und Großeinsätze der Feuerwehr werden regelmäßig in den Boulevardmedien breitgetreten. Ihre Dramatik ist aber schnell erschöpft, denn wird man zum Beispiel zu einem Großbrand gerufen, weiß jeder, was zu tun ist. Die einen stellen ein paar Wasserwerfer auf, die anderen rollen Schläuche aus, dann spritzt die Feuerwehr Wasser in den Brandherd, bis das Feuer gelöscht ist. Zu erzählen gibt es da wenig.
Andere, weitaus kleinere Einsätze, die von der Öffentlichkeit unbeachtet bleiben, sind dagegen an Kuriosität kaum zu überbieten. Wenn ich in meinem Freundeskreis von solchen Aktionen berichte, ernte ich oft ungläubiges Kopfschütteln. Das brachte mich irgendwann auf die Idee, einiges von dem, was man als Feuerwehrmann erfährt, in einem Buch festzuhalten – selbstverständlich anonymisiert: Die Namen der handelnden Personen und die Orte sind frei erfunden, die hier zu lesenden Geschichten sind aber wirklich so passiert. Und wenn Sie einmal jemanden von der Feuerwehr oder dem Rettungsdienst fragen, ob das denn überhaupt stimmen kann, wird er zweifellos nicken: «Ja, so etwas Ähnliches habe ich selbst schon einmal erlebt …»
Von all den Facetten des Lebens, mit denen man im Dienst konfrontiert wird, ahnte ich noch nichts, als ich im Alter von zwölf Jahren der Jugendfeuerwehr einer ostwestfälischen Kleinstadt beitrat. Mit achtzehn fuhr ich dann als aktiver Feuerwehrmann etwa einhundert Einsätze pro Jahr, um «für den Nächsten da zu sein». Mein Traum war es, bei der Berufsfeuerwehr zu arbeiten. Trotz aller Unkenrufe von Eltern und Freunden, die mir geringe Einstellungschancen prophezeiten, bewarb ich mich bei verschiedenen Feuerwehren, bis ich 1997 , nach gut zwei Jahren, bei einer großen Berufsfeuerwehr eingestellt wurde: Mein Traum war in Erfüllung gegangen! Ich zog aus der ländlichen Gegend in die
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