Level 4 07 - 2049
Thomas sich sicher. »Eine Krankenschwester oder so. Die können wir doch fragen!«
Als verfügte Thomas über hellseherische Fähigkeiten, öffnete sich gerade jetzt die Tür und eine zierliche Frau betrat den Raum, die eindeutig asiatischer Herkunft war. Nicht einmal der typische weiße Kittel konnte etwas von ihrer Schönheit rauben. Ihr hinreißendes Lächeln ließ strahlend weiße Zähne aufblitzen. Mit tiefbraunen Augen sah sie die Kinder freundlich an.
»Guten Tag!«, hauchte sie.
Ben war hingerissen von ihrer Erscheinung, was ihm einen argwöhnischen Blick von Jennifer einbrachte.
Miriam war mit einem Schlag klar, dass die Jungs bei dem Anblick einer solchen Fee kein Wort hervorbringen würden. Dafür war das männliche Geschlecht zu schlicht gestrickt.
Also ergriff sie sofort die Initiative.
»Guten Tag, Schwester!«, begrüßte sie die makellose Frau. »Was haben Sie mit uns gemacht?«
Die Frau sah Miriam an, als hätte sie in diesem Moment von einem Millionengewinn im Lotto erfahren. Mit verklärtem Blick, der unweigerlich das Gefühl von warmer Sonne und sauberen Stränden aufkommen ließ, antwortete die Frau mit einer Stimme, die die Ohren zärtlich zu streicheln schien:
»Liebe Miriam. Ich bin keine Schwester, sondern Physikerin. Genauer: die Leiterin dieses Labors. Mein Name ist Professorin Doktorin Pi.«
»Pi?«, kiekste Miriam laut auf.
Die Leiterin des Labors überhörte diesen Laut. Unbeirrt fuhr sie fort: »Aber du darfst mich gerne bei meinem Vornamen nennen: Frieda!«
»Frieda?«, wiederholte Miriam.
Für den hundertsten Teil einer Sekunde schien sich ein Ausdruck der Besorgnis in Frieda Pis Porzellan-Gesicht verirrt zu haben, die sich zu fragen schien, weshalb das Mädchen vor ihr alles wiederholte, bevor sie lediglich antwortete: »Ganz recht!«
Miriam hatte Mühe, ihr Anliegen nicht aus den Augen zu verlieren. Schließlich fiel ihr wieder ein: »Ich will Sie nicht beim Vornamen nennen. Ich will wissen, was Sie mit uns gemacht haben!«
»Aber das weißt du doch!«, schmeichelte Frieda Pis Stimme sich in Miriams Gehörgänge ein. »Ich möchte euch jetzt bitten mich in euren Aufenthaltsraum zu begleiten. Ihr werdet dort alles Nähere erfahren, meine Lieben!«
Frank, Ben und Thomas gafften die Professorin an, als sei ihnen ein Engel erschienen. Selbst Miriam fühlte sich auf eine noch unbekannte Weise von der Aura dieser Frau gefangen. Nur Jennifer kräuselte skeptisch ihre Stirn und hakte nach: »Was soll das heißen: unser Aufenthaltsraum? Ich will in keinen Aufenthaltsraum, ich will wissen, was Sie mit uns angestellt haben, und dann nach Hause.«
»Aber selbstverständlich!«, säuselte Professorin Pi ihr zu. »Ich will euch ja gern alles erläutern. Aber eines nach dem anderen!«
Ohne weitere Fragen oder Einwände abzuwarten schritt sie voran, ach, was heißt schritt, sie schwebte einer Feder gleich aus dem Raum hinaus.
Die Jungs stampften ihr wie ferngesteuert hinterher.
Jennifer packte Ben grob am Arm. »Reiß dich mal zusammen!«, fauchte sie ihn an. »Du benimmst dich ja wie der letzte Trottel!«
»Hä?«, machte Ben.
»Blödmann!«, ärgerte sich Jennifer und schubste Ben vor sich hin.
Miriam kicherte. »Und ich dachte, Ben steht nur auf Halbleiter-Chips!«
»Fang du nicht auch noch an!«, warnte Jennifer ihre beste Freundin gereizt.
Miriam hob entschuldigend die Hände. »Komm mit. Mal hören, was Miss Universum uns zu berichten hat!«
Gefangen!
Daily Soap war der Begriff, der Miriam einfiel, als sie den Aufenthaltsraum betrat. Der Raum sah aus wie ein Jugendzimmer in einer dieser täglichen Kitsch-Sendungen im Fernsehen, die vornehmlich mit miserablen Amateur-Schauspielern in dilettantisch ausgeleuchteten Studios vor den Requisiten von Schultheatern gedreht wurden.
So, wie es hier aussah, stellten sich nicht nur ahnungslose Fernsehregisseure die Zimmer von Jugendlichen vor – sondern offenbar auch die Chefs von Forschungslabors.
An einer Wand klebten die Poster drittklassiger Popgruppen, die anderen waren in so grellen Farben gestrichen, dass sich vielleicht Raps-Käfer dort wohl gefühlt hätten, aber sicher keine Menschen. Zum Sitzen standen untaugliche Sessel aufgereiht wie in einem Möbelkatalog neben einem Tisch, auf dem garantiert noch nie jemand etwas abgestellt hatte. Zwei Zeitschriften lagen unangetastet in einem Zeitungsständer, den jeder Jugendliche augenblicklich aus seinem Zimmer gefeuert hätte. Die Polster des Sofas präsentierten sich so
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