Lewis, CS - Narnia 7
goldgelbem Bart, halb Mensch, halb Pferd, galoppierte auf den König zu, hielt an und verneigte sich. »Zum Gruße, König!« rief er mit tiefer Stimme wie ein Stier. Menschenschweiß stand ihm auf der Stirn, Pferdeschweiß auf den roten Flanken.
»Hallo, sieh da!« sagte der König. Er blickte über seine Schulter hinweg zur Tür des Jagdhauses und rief: »Einen Becher Wein für den edlen Zentauren. Willkommen, Runwitt! Wenn du wieder bei Atem bist, sagst du uns deinen Auftrag.«
Ein Edelknabe kam aus dem Haus. Er trug einen großen, reich verzierten Holzbecher und gab ihn dem Zentauren.
Der Zentaur hob den Becher und sprach:
»Zuerst trinke ich auf Aslan und die Wahrheit, mein Gebieter, und dann auf Eure Majestät.«
Er trank den Wein (der für sechs starke Männer gereicht hätte) in einem Zug aus und gab den leeren Becher dem Edelknaben zurück.
»Nun, Runwitt«, erkundigte sich der König, »bringst du uns gute Nachrichten über Aslan?«
Runwitt blickte finster und runzelte die Stirn.
»Majestät«, sprach er, »Ihr wißt, wie lange ich schon lebe und die Sterne studiere; denn wir Zentauren leben länger als ihr Menschen und sogar länger als dein Geschlecht, Einhorn. Niemals in meinem ganzen Leben sah ich so schreckliche Zeichen in den nächtlichen Himmel geschrieben wie zu Beginn dieses Jahres. Die Sterne künden nichts von dem Erscheinen Aslans, nichts von Frieden und nichts von Freude. Durch meine Kunst weiß ich, daß es fünfhundert Jahre lang keine so unheilvolle Verbindung der Planeten gegeben hat. Ich muß Euer Majestät warnen, ein großes Unglück schwebt über Narnia. Gestern abend kam auch zu mir das Gerücht, daß Aslan draußen in Narnia ist. Majestät, glaubt dieses Märchen nicht. Es kann nicht wahr sein. Die Sterne lügen nie, aber Menschen und Tiere lügen. Wenn Aslan wirklich nach Narnia käme, hätte es der Himmel vorausgesagt. Wäre er wirklich gekommen, hätten sich die freundlichsten Sterne zu seiner Begrüßung versammelt. Seid gewiß, dies alles ist eine gemeine Lüge!«
»Eine Lüge!« rief der König erbost. »Wer in Narnia oder irgendwo in der ganzen Welt wagte es, in einer so ernsten Sache zu lügen?« Und er griff unbewußt nach seinem Schwert.
»Das weiß ich nicht, Herr und König«, antwortete der Zentaur. »Aber eins weiß ich: Auf der Erde gibt es Lügner, aber niemals unter den Sternen.«
»Ich frage mich«, gab Kleinod zu bedenken, »ob Aslan auch dann kommt, wenn die Sterne es anders voraussagen. Er ist kein Sklave der Sterne, sondern ihr Herr. Heißt es nicht in den alten Geschichten, daß er kein zahmer Löwe ist?«
»Gut gesprochen, gut gesprochen, Kleinod«, rief der König. »Das sind die richtigen Worte: kein zahmer Löwe! So kommt es in vielen Erzählungen vor.«
Runwitt lehnte sich gerade vor, um dem König etwas sehr Ernstes zu sagen, als plötzlich alle drei ihre Köpfe wandten. Sie hörten einen wehklagenden Laut. Westlich von ihnen war der Wald so dicht, daß sie den Ankömmling noch nicht sahen, aber seine Worte vernahmen.
»Weh, weh, weh!« rief die Stimme. »Weh über meine Brüder und Schwestern! Weh über die heiligen Bäume! Die Wälder sind verwüstet. Die Axt wird auf uns losgelassen. Wir werden niedergestreckt. Große Bäume fallen, fallen, fallen.«
Mit diesen Worten erschien eine Gestalt, die aussah wie eine Frau, die aber so groß war, daß ihr Kopf in gleicher Höhe mit dem des Zentauren lag; außerdem erinnerte sie auch an einen Baum. Es war eine Waldnymphe. König Tirian, Runwitt und Kleinod wußten sogleich, daß es die Nymphe einer Buche war.
»Gerechtigkeit, Herr König!« rief sie. »Komm uns zu Hilfe. Schütze dein Volk. Sie fällen uns im Laternendickicht. Vierzig große Stämme meiner Brüder und Schwestern liegen schon auf dem Boden.«
»Wie, edle Frau? Sie fällen das Laternendickicht, morden die sprechenden Bäume?« schrie der König, sprang auf und zog sein Schwert. »Wie können sie es wagen? Und wer wagt es? Bei der Mähne von Aslan!«
»A-a-a-ah!« japste die Nymphe, fröstelnd vor Schmerz, wie unter geheimen Schlägen erschauernd. Dann fiel sie plötzlich zur Seite, so unvermutet, als wären ihre Füße unter ihr weggeschnitten worden. Die drei sahen sie sekundenlang wie tot im Grase liegen, doch dann verschwand sie. Sie wußten, was geschehen war: Meilenweit von ihnen entfernt war der Baum der Nymphe gefällt worden.
Für einen Augenblick war des Königs Kummer und Zorn so groß, daß er verstummte.
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