Liberty 9 - Sicherheitszone (German Edition)
Electoren. Dafür bewunderte Kendira sie. Aber mehr noch beneidete sie Fay um ihr herrlich blondes Haar, das ihr weit über die Schultern fiel.
Unwillkürlich blickte sie im Vorbeigehen zu Fay hinunter– und hielt überrascht inne. Denn Fay lag wach in ihrem Bett– und legte einen Finger auf die Lippen, als sie Kendiras Blick auffing. Dabei zwinkerte sie ihr zu. Fay lag nicht allein in ihrem Bett, sondern mit der zierlichen schwarzhaarigen Samarra.
Kendira zog die Brauen hoch. Sie schüttelte den Kopf, lächelte aber. Schließlich taten Fay und Samarra nichts Verbotenes. Solange zwei Electoren ihre Zuneigung diskret zeigten, egal ob sie dem anderen oder dem eigenen Geschlecht galt, und solange sie bei den im Schwarzen Würfel und in den anderen Unterrichtsfächern gute Leistungen brachten, bewegten sie sich im Rahmen des Erlaubten.
Kendiras Verblüffung hatte einen anderen Grund. Bisher hatte sie nämlich den Eindruck gehabt, dass Fay ein Auge auf Carson geworfen hatte. Sie nun mit Samarra im Bett zu sehen, war daher schon eine Überraschung– und zwar gar keine unangenehme. Denn Carson, der mit seinen siebzehn Jahren ebenfalls frühzeitig den Alpha-Level erreicht hatte, gefiel auch ihr.
An Fays rechtem Handgelenk leuchtete das elastische token -Armband mit seinen vierundzwanzig kleinen, quadratischen Feldern. Jeder Elector trug so ein Armband. Aber niemand sammelte so viele Token im Unterricht und bei den Runs im Schwarzen Würfel wie Fay. Bei den meisten leuchteten zwischen all den matten, deaktivierten Feldern des Armbands nur einige wenige aktivierte Token-Segmente, und selbst die nur in den minderen Farben Grün und Gelb, mit denen man sich in der Tube nichts wirklich Spektakuläres kaufen konnte. An Fays Armband flimmerten dagegen neben den grünen und gelben mindestens vier blaue und sogar zwei rote Leuchtsegmente und mit diesen Token in Blau und Rot konnte man in der Tube atemberaubende fantastische Erlebnisse abrufen.
Kendira unterdrückte einen Seufzer. Fay hatte wirklich in allem den Bogen raus! Aber ihr gönnte sie es, auch wenn sie sich selbst noch ein paar mehr Token gewünscht hätte. Die afrikanische Safari hatte sie ihr letztes blaues Leuchtsegment gekostet. Drei gelbe Token waren alles, was ihr danach noch geblieben war, und dafür gab es nur irrwitzige Verfolgungsjagden oder Egoshooter, auf die die Jungs so standen. Mit diesen Adventastik-Programmen konnte sie nichts anfangen und musste deshalb warten, bis wieder einmal ein blauer Token, womöglich sogar ein roter Supertoken an ihrem Armband aufleuchten würde.
Kendira schlich den kühlen Gang hinunter, vorbei an den Schlafsälen ihrer Mitschwestern, die zum Beta-, Gamma- und Delta-Level gehörten. Im Delta-Dorm schliefen die Jüngsten, die Zwölf- bis Vierzehnjährigen, die nach den alljährlichen winterlichen Selectionen zu Electoren der Erhabenen Macht ernannt worden waren. Im Frühling waren sie aus dem sorglosen Leben in Eden in den Konvent der Lichtburg übergesiedelt. Die männlichen Electoren bewohnten den nördlichen Trakt des Gebäudegevierts. Dazwischen lag der Trakt ihrer Master und Prinzipalen.
Es war still auf dem langen, dämmerigen Flur. Kendira ging jedoch nicht über das breite steinerne Treppenhaus hinunter ins Erdgeschoss, sondern nahm die schmale, steile Hinterstiege, die die Servanten nehmen mussten, wenn sie in diesem Teil der Lichtburg Arbeiten zu verrichten hatten. Dort jemandem zu dieser Nachtstunde zu begegnen, insbesondere einer » Rotkutte « , wie sie ihre Master und Prinzipalen wegen der Farbe ihrer Kutten etwas respektlos nannten, war noch unwahrscheinlicher als auf der Haupttreppe.
Unten im Erdgeschoss wandte Kendira sich nach rechts und tauchte in den dunklen Flur ein, der am Refectorium vorbeiführte. Dort hatten die Servanten am Abend zuvor schon die Tische für das Frühstück gedeckt.
Einige Dutzend Schritte weiter passierte sie die Abzweigung zum Kreuzgang der Lichtwelten. Sie warf einen Blick den Gang hinunter und überlegte kurz, ob sie sich die Zeit nicht besser dort vertreiben sollte. Dann entschied sie sich jedoch dagegen und schlüpfte durch den Hinterausgang hinaus ins Freie.
Die frische, selbst jetzt im Juli noch beinahe frostige Nachtluft schlug ihr wie ein kalter Schwall Wasser ins Gesicht. Der Atem entwich ihrem Mund wie feiner Nebel. Über ihr spannte sich ein fast wolkenloser, sternenklarer Nachthimmel. Milchiges Mondlicht fiel auf die wild gezackten, schneebedeckten Gipfel der
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