Licht über den Klippen
Touristen
geben, die so scharf auf Tee sind, dass sie aus dem Ort eigens zu uns herauskommen.«
Da musste ich ihm recht geben. Wir fuhren gerade durch Polgelly mit
seinen dicht gedrängten weiß getünchten Häusern und den gewundenen Straßen, die
so schmal waren, dass nur Anwohner und Taxis für die Touristen sie passieren
durften. Marks Van, wirklich nicht sonderlich breit, passte beinahe nicht
zwischen den Gebäuden hindurch.
Polgelly war einmal ein bekannter Fischerort gewesen, der sich mit
der Entdeckung Cornwalls durch die Touristen in ein pittoreskes Dorf verwandelte.
Nun gab es hier Geschäfte mit Antiquitäten und keltischem Kunsthandwerk und
Frühstückspensionen mit Namen wie »Schmugglernest«. Der alte
Fish-and-Chips-Laden am Hafen sah noch aus wie früher; das Gleiche galt für das
Fudge-Geschäft an der Ecke. Und »der Hügel« hatte sich selbstverständlich auch
nicht verändert.
Ich hatte ihn gleich bei der ersten Besteigung »den Hügel« getauft,
denn bestimmt gab es keine andere Erhebung auf Erden, die das Durchhaltevermögen
auf eine solche Probe stellte. Das lag nicht an der Höhe oder der Steigung
allein, sondern vor allen Dingen daran, dass der Weg hinauf kein Ende zu nehmen
schien. Die Straße führte zwischen überhängenden Bäumen und Bruchsteinmauern
hindurch, ein Anstieg, der die Oberschenkelmuskulatur beanspruchte und sie noch
minutenlang zittern ließ, wenn man endlich die Kuppe erreicht hatte.
Als Kinder waren wir jeden Tag hinuntergelaufen, um mit Marks und
Susans Schulfreunden in Polgelly zu spielen oder von der Hafenmauer aus den Fischern
bei der Arbeit zuzusehen. Und wie Kinder nun mal sind, hatten wir alle Gedanken
an den mühsamen Aufstieg verdrängt, bis wir ihn auf dem Rückweg wieder
bewältigen mussten. Einmal hatte Mark mich sogar die letzten Schritte getragen.
Vermutlich begann ich seinerzeit deswegen, für ihn zu schwärmen.
Diesmal näherten wir uns dem Hügel mit dem Van, und auch der schien
Respekt vor ihm zu haben. Ich hätte schwören mögen, dass der Motor ächzte.
Die Äste der mit frischem Frühlingsgrün bewachsenen Bäume bildeten
so etwas wie einen Tunnel und sorgten für Licht- und Schattenspiele auf der
Windschutzscheibe. Am Straßenrand entdeckte ich Immergrün und Weinranken. Wie
früher richtete ich den Blick erwartungsvoll geradeaus, um die Ziegelschornsteine
von Trelowarth House nicht zu verpassen.
Sie tauchten als Erstes zwischen den Bäumen auf, und dann die
niedrige Mauer entlang der Straße – »kornische Hecke« nannte man solche im
Fischgrätmuster aufeinandergestapelten Bruchsteine, überwuchert von Efeu, das
sie zusammenhielt. Anschließend folgte eine Lücke zwischen Bäumen und Mauer,
und endlich sah ich das Haus vor den ansteigenden Feldern und Wäldern.
Trelowarth House hatte auf diesem Hügel Jahrhunderten getrotzt;
seine massiven grauen Steinmauern hatten jedem Sturm vom Meer standgehalten. Es
hatte die Form eines schlichten, zweistöckigen L, dessen Vorderseite auf die
Klippen und die See ging, während die Längsseite ziemlich nahe entlang der
Straße verlief. Die Konstruktion war so durchdacht, dass keiner der zahlreichen
Besitzer es für nötig befunden hatte, größere Veränderungen an der
Grundstruktur vorzunehmen. Die mit neuen Spitzen versehenen Schornsteine waren
im alten Stil verblieben, und in einigen der Flügelfenster befand sich noch
Glas aus der elisabethanischen Zeit, durch das die damaligen Bewohner
möglicherweise das Herannahen der Armada beobachtet hatten.
Das Gebäude verlockte nicht eben zu romantischen Fantasien. Es
wirkte streng, grau und hart; das einzig Weiche daran waren die Rosen, die sich
um den steinernen Türstock rankten.
Nach etwa drei Vierteln der Strecke den Hügel hinauf bog Mark scharf
in den Kiesweg in Richtung Haus ein. Die Garagen befanden sich in den alten
Stallungen am hinteren Ende des Hofs, doch Mark stellte den Van neben dem
Gebäude ab. Als wir die Türen öffneten, stürzte sich ein ganzes Rudel bellender
Hunde auf uns, die zur Begrüßung an uns hochsprangen.
»Ruhe, ihr Krachmacher«, ermahnte Mark sie, als er nach hinten ging,
um meinen Koffer aus dem Wagen zu holen.
Ich stieg vorsichtig aus, weil ich den Hunden nicht auf die Pfoten
treten wollte. Es handelte sich um einen schwarzen Cockerspaniel, einen
Labrador und ein Tier, das trotz der dicken Schmutzkruste entfernte Ähnlichkeit
mit einem Setter hatte. Dazu kam der braune Mischling Samson, der hinter mir aus
dem Van
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