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Lichthaus Kaltgestellt

Lichthaus Kaltgestellt

Titel: Lichthaus Kaltgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Walz
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vorhergesagt hatte.
    *

Der Mann bog an der Kirche rechts ab und fuhr zügig die steile Straße hinauf, raus aus Hermeskeil. Links tauchte der Sportplatz auf und oben auf der Kuppe die Gebäude der Felke-Werke. Hier hatte er einmal Schreiner gelernt, damals als im Hochwald noch Möbel gebaut wurden, die mit Gewinn verkauft werden konnten. Die alten Hallen waren lange Jahre als Globalisierungsruine vergammelt und zum Teil durch zwei Brände vernichtet worden, doch vor Kurzem war irgendein Investor aufgetaucht und hatte die verbleibenden Gebäude saniert und erweitert. Ihm war es egal. Er schnitt unten im Baumarkt Bretter zurecht und war froh, einen Job zu haben, für den er nicht bis nach Trier hinunterfahren musste.
    Groß und massig klemmte er hinter dem Lenkrad, der Motor schnurrte. Hinter der Kuppe ging es steil hinab in einen hohen, dunklen Tannenwald, der weitgehend die schroffen Hänge bedeckte. Nur am Rand hielten sich ein paar Buchen und reckten die Äste wie Arme über die Fahrbahn. Doch das alles nahm er nicht mehr wahr. Kannte alles. Jeden Abend die gleiche Fahrt, mal früher mal später. Nur die Jahreszeit änderte sich. Seine Mutter hatte gesagt, er finde hier den Weg wie ein Säugling die Brust. Damals war die Straße noch in steilen Kurven verlaufen, mittlerweile führte sie gerade hinunter zur Prims, die unter einer schmalen Brücke dahinplätscherte.
    Er gab Gas, und sein Geländewagen kam in Schwung. Die aufgeblendeten Scheinwerfer durchschnitten die Dunkelheit und beleuchteten die Straße weithin. Es war warm, das Fenster hatte er runter gedreht.
    Er grinste. Bis hundert Stundenkilometer trieb er die Geschwindigkeit hoch. So wie jeden Abend, wenn es trocken war. Er bremste dann bis auf etwa fünfundsiebzig herunter, nahm die Kurve an der Brücke und schoss auf der anderen Seite die Straße wieder hinauf. Der Motor röhrte jetzt, und die Tannen flogen an ihm vorbei wie Fahnenstangen. So kräftig wie immer trat er das Bremspedal, doch nichts tat sich. Wie ein elektrischer Schlag durchzuckte ihn der Schreck. Fuß hoch und wieder auf die Bremse. Nichts. Der Schweiß brach ihm aus. Noch fünfzig Meter bis zur Brücke. Panisch versuchte er den dritten Gang reinzudreschen, um mit der Motorbremse langsamer zu werden, doch die Schaltung klemmte. Die Kurve raste auf ihn zu, er stellte das Denken ein.
    Mit hundertzwanzig flog der Wagen hinein in die Kurve – und schaffte sie. Die Karosserie neigte sich in aberwitzigem Winkel, doch die Reifen schienen auf der Straße zu kleben. Seine Muskeln bebten. Er schrie die Anspannung hinaus, Hoffnung keimte auf, dann endete seine Glückssträhne auf der Brücke. Der Wagen brach aus, streifte das Geländer und schoss über die Böschung hinweg auf die Bäume zu. Grotesk wie in einem billigen Action-Film hob er ab.
    Während seine Hände sinnlos weiter das Lenkrad umkrallten, nahm er das widerstandslose Drehen der Räder wahr. Nun sah er im Scheinwerferlicht die Tannen, ihre borkige Rinde und das Moos auf der dem Wind abgewandten Seite auf sich zufliegen. Das Fahrwerk krachte auf den Boden, während der Druck des einschnappenden Gurts ihm die Luft aus der Lunge presste. Er verlor die Orientierung, als der Aufprall ihn herumwarf und sein Kopf an den Rahmen schlug. Jeden Augenblick rechnete er mit dem Aufprall. Doch der kam noch nicht. Erst als sich die Geschwindigkeit stark verlangsamt hatte, fuhr er gegen einen Stamm. Die Motorhaube sprang hoch und er flog ihr förmlich entgegen, hinein in den Airbag. Glas bröckelte aus der geborstenen Windschutzscheibe herein. Einen Augenblick lang verlor er das Bewusstsein.
    Beim Quietschen einer Bremse kam er wieder zu sich. Sein Kopf dröhnte, Blut floss ihm in die Augen. Er versuchte, sich zu bewegen, doch sein Fuß war eingeklemmt. Er schrie, um auf sich aufmerksam zu machen, brachte aber nur ein schwaches Krächzen hervor. Es schien zu reichen. Schritte näherten sich.
    »Hallo, können Sie mich hören.« Die Stimme eines Mannes. Sie klang besorgt. Wieder krächzte er.
    Der Mann trat neben die Fahrertür.
    »Ich hatte einen Unfall. Bin von der Straße ab«, erklärte er stöhnend, als ob man es nicht sehen könnte.
    »Warten Sie, ich helfe Ihnen heraus.«
    »Danke.« Er lächelte dankbar. Wieder wurde ihm schwindelig.
    Zwei kräftige Hände zogen die Tür auf und griffen hinein, packten seine Schulter und drehten ihn mit dem Rücken zur Tür. Vorsichtig stützte der Mann ihn ab, und er lehnte sich dankbar gegen die kräftige

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