Lichthaus Kaltgestellt
Lichthaus nicht reagierte. »Die Tat wirft neues Licht auf den Fall. Wir sollten uns nochmals zusammensetzen.«
»Ich bin raus. Man hat mich suspendiert.«
»Wieso denn das?«
»Einen Sündenbock braucht man doch. Müller hat die Leitung.«
»Den kenne ich noch von früher, der ist ein ermittlungstechnischer Totalausfall.«
Lichthaus schwieg und schaute einem holländischen Wohnwagengespann nach, das mit Fahrrädern und Surfbrett bepackt an ihm vorbeirauschte. Er beneidete die beiden Insassen. Sie fuhren in Richtung Claudia und Henriette.
»Ich bin raus. Ende.«
»Ach kommen Sie, Sie lassen doch Ihre Leute nicht hängen.«
Lichthaus schwieg.
»Sind Sie noch da?«
»Ja, ja. Ich …«
»Sie sind verunsichert was?« Von Falkberg kehrte den Psychologen raus. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, denken Sie in Ruhe nach und rufen mich heute Abend an. Und informieren Sie sich über Parzival, ich glaube, Ihr Täter ist hierüber zu finden.« Er betonte das »Ihr« überdeutlich und legte auf, ohne auf Reaktionen zu warten.
Lichthaus verließ die Autobahn in Bitburg und zockelte über die Landstraße zurück. Von Falkberg hatte Recht. Er war auf der Flucht gewesen, wollte einfach weg. Doch das ging nicht. Er war noch nie vor Problemen davongelaufen und würde es auch diesmal nicht tun. Sein Aufbruch nach Holland war eine impulsive Entscheidung, nur spätestens morgen wäre er ohnehin zurückgekommen.
Zu Hause telefonierte er lange mit Claudia, die ihn nur zu gut kannte und keinen Versuch unternahm, ihn nach Holland zu lotsen. Sie wusste, dass er allein weitermachen würde, und hatte Angst. Er versprach ihr, keine Risiken einzugehen. Dann machte er sich an die Arbeit. Der Computer fuhr surrend hoch und er ging ins Internet, um nach dem Roten Ritter zu googlen. Was er zu sehen bekam, konnte er kaum fassen. Tausende von Links beschäftigten sich mit diesem Thema. Anfangs klickte er wahllos die einzelnen Quellen an, später suchte er spezifischer nach den historischen Hintergründen und den unterschiedlichen, zum Teil hochwissenschaftlichen Deutungsversuchen, die dieses Epos um den Helden Parzival bislang erfahren hatte.
Erst nach langem Suchen fand er eine Zusammenfassung des sechs Bände umfassenden Werkes von Wolfram von Eschenbach, die den Inhalt des Textes für ihn gut verständlich wiedergab. Nachdem Parzivals Vater, ein König, im Kampf umgekommen war, verkroch sich seine Mutter zusammen mit ihm in einer Hütte tief im Wald, da sie nicht auch noch den Sohn verlieren wollte. Doch eines Tages begegnete er einem Ritter und wollte auch einer werden. Also zog er an den Hof von König Artus, wo er einen Ritter tötete, dessen Rüstung er an sich nahm. Sie war rot. In der Folgezeit kämpfte er erfolgreich in vielen Schlachten, lernte aber nicht, den Wert der Liebe zu erkennen. Nicht der Gegenstand an sich, der heilige Gral, wurde für ihn wichtig, sondern das, was er symbolisierte: Das hohe Gut der Liebe schätzen zu lernen, das war sein Gral.
Lichthaus begann zu verstehen, warum von Falkberg ihm diese Geschichte nahegelegt hatte und druckte sich den für seine Fahndung wohl zentralen Teil aus.
Dann ließ er sich zurückfallen und dachte nach. Es gab einige Parallelen zwischen seinem Fall und der Sage vom Roten Ritter. Beide sahen im Kampf ihre Erfüllung, beide waren auf der Suche nach ihrem Gral. Worin allerdings der Gral des Mörders bestand, konnte er nicht sehen. Wie war es möglich, dass ein brutaler Killer in einer Geschichte, die der Suche nach Liebe gewidmet war, eine Rechtfertigung für seine Gräueltaten fand? Wie konnte er den Mord an Scherer als Schritt zu seiner Gralsburg interpretieren?
Lichthaus schüttelte den Kopf, trat ans Fenster und sah auf die Weinberge. Die Sonne lugte zwischen den Wolken hervor und beleuchtete die Rebstöcke mit goldenem Licht. Es wurde bereits Abend. Der Herbst kam.
Wie hieß es in der Geschichte? Er nahm den Ausdruck und schaute ihn sich nochmals an. Parzival hatte die rote Rüstung gegen eine silberne getauscht, als er zu seinem Glauben zurückgefunden hatte, als ihm seine Sünden vergeben worden waren. Ihr Täter lief jedoch noch rot gekleidet umher. Nun gut, doch wie sollte ihm diese Kenntnis helfen, einen Mörder zu finden?
Er griff zum Telefon, um von Falkberg anzurufen, doch ehe er wählen konnte, klingelte der Apparat in seiner Hand. Lichthaus zögerte. Ein Telefonat mit dem Widerling von Müller könnte er nicht ertragen. Aber die Nummer auf dem Display war ihm
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