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Lichthaus Kaltgestellt

Lichthaus Kaltgestellt

Titel: Lichthaus Kaltgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Walz
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Viertel.
    Er hatte die Beerdigung gut gemeistert. Hatte den Angehörigen sein Beileid ausgesprochen, war dann schnell unter dem Vorwand weiterer Termine verschwunden, die er absichtlich so gelegt hatte. Christine vergessen konnte er hingegen nicht. Er arbeitete mehr als zuvor und befreite sich von dem Verlangen, sie wiederzusehen, doch nach einer Woche stand sie abermals vor seiner Tür. Sie kam, um sich zu bedanken, und brachte ihm eine Flasche Wein. Er hatte sie hereingebeten und Frau Schneider, die Pfarrsekretärin, hatte ihnen Kaffee gekocht. Die Unterhaltung hatte sich vordergründig um die Trauerarbeit und Christines Mutter gedreht, während er die Gelegenheit nutzte, ihren Anblick, ihr Lächeln und ihre Stimme zu trinken.
    Zwei Tage später hatte es ihn an den Rhein gezogen. Er war passionierter Radfahrer und spulte wöchentlich seine einhundertzwanzig Kilometer ab, oft auch im Keller, wenn die Arbeit ihm erst nach Einbruch der Dunkelheit Zeit ließ. Hier hatten sie sich getroffen. Zufällig. Seine Sportkleidung hatte seine, aber auch ihre Befangenheit weggewischt, gerade so, als ob er sein Priesteramt an der Garderobe abgegeben hätte. Sie lud ihn zu sich nach Hause ein, und er ging einfach mit. Sie tranken ein Glas Wein, aßen etwas und lachten viel. Beim Abschied legte sie ihm einfach ihre Arme um den Hals und küsste ihn sanft. Seine Lust war explodiert. Der unbewusst aufgestaute Druck jahrelanger Enthaltsamkeit war aus ihm hervorgebrochen wie ein längst erloschen geglaubter Vulkan. Er hatte sich nicht seiner Erektion geschämt, noch auch nur einen Augenblick gezögert, ihr ins Schlafzimmer zu folgen, was ihn später zutiefst verstört hatte. Die Wärme ihres Körpers und ihr zärtliches Verlangen waren berauschend gewesen, und als er in sie eindrang, wusste er, dass Gott dies nicht hatte werden lassen, um darauf zu verzichten.
    Bis in den frühen Morgen war er geblieben, und erst als er zurück im Pfarrhaus war, schlug sein schlechtes Gewissen zu. Er war in die Kirche gelaufen und hatte sich vor den Altar niedergeworfen, hatte den Hauch des Weihrauchs wahrgenommen und zu Gott gefleht. Nicht um Verzeihung, sondern um den rechten Weg, um ein Zeichen, doch Gott war stumm geblieben. Also hatte er einfach weitergemacht mit der Pfarrei und mit Christine, auf die er nicht mehr verzichten konnte und auch nicht wollte. Sie trafen sich seitdem regelmäßig. Oft bei ihr und nur ganz selten, so wie heute, hier im Pfarrhaus.
    Unten an der Haustür wurde geläutet. Ungeduldig, keine Verzögerung akzeptierend. Christine war augenblicklich wach, doch er bedeutete ihr nur, liegen zu bleiben. Es kamen öfter Menschen in der Nacht. Häufig Angehörige, die um die letzte Ölung eines Sterbenden baten, aber auch Verzweifelte, deren Ehe zerbrach, deren Körper sie im Stich ließ, und all die Einsamen, die es in der Stille um sie herum nicht mehr aushielten. Er hörte ihnen zu. Stundenlang und spendete Trost, organisierte Hilfe. War Seelsorger. Mit oder ohne Frau an seiner Seite, wo war der Unterschied?
    Er schlüpfte im dunklen Zimmer in eine schwarze Jeans und zog sich ein T-Shirt über, dann ging er hinaus. Das Pfarrhaus war alt und die Treppe knarzte leicht, als er hinabging. Durch den Glaseinsatz der Tür erkannte er eine Person, die davor stand, ein Mann. Groß und massiv wirkte sein schattenhafter Umriss.
    Matthias Lautwein spürte den kalten Plattenboden unter seinen nackten Füßen, als er den Riegel zurückzog und das Schloss öffnete. Was dann folgte, hätte er sich niemals vorstellen können und überwältigte ihn später auch in der Erinnerung immer wieder. Die Haustür wurde mit großer Gewalt aufgedrückt und zwei Gestalten, schwarz gekleidet und mit einer Art Strumpfmaske über dem Kopf, stürzten herein. Er schrie nicht einmal. Die beiden packten ihn rüde, verdrehten seine Arme und zwangen ihn mit dem Gesicht nach vorne auf den Boden. Einer stemmte ihm das Knie in den Rücken, als wollte er alle Luft aus seinen Lungen pressen.
    »Was …«, brüllte er los, kam aber nicht weiter, denn eine behandschuhte Hand verschloss ihm den Mund.
    »Objekt gesichert«, ließ sich eine gedämpfte Stimme hören.
    Es kamen noch mehr Personen herein, dann wurde die Haustür geschlossen und Lautwein auf die Beine gezerrt und in die Küche geschleppt. Jemand machte Licht.
    »Was …« begann er wieder, als ihn eine harte, metallene Stimme unterbrach.
    »Matthias Lautwein?«
    »Wer sind Sie?«
    »Die Fragen stelle ich. Mein Name

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