Lichtzeit - Gibson, G: Lichtzeit - Nova War
Gewiss, er hatte die Protokolle entwickelt, die sie – genauso wie alle anderen – so dringend in ihren Besitz bringen wollten, und es stimmte auch, dass er einer der extrem seltenen Experten für diese vorsintflutlichen Programmiersprachen der Shoal war. Dennoch ließ sich die Tatsache nicht abstreiten, dass es auf einem puren Zufall beruhte, als Senator Arbenz’ Forscher während ihrer ersten zaghaften Untersuchungen eines fremdartigen Raumschiffwracks auf einen echten Stein von Rosette gestoßen waren. Und danach war es im Grunde kein Kunststück mehr, herauszufinden, wie man die erforderlichen Protokolle erstellte – zumindest dann nicht, wenn man die entsprechenden Experten damit beauftragen konnte, Spezialisten, wie er selbst einer war.
Zum Glück hatte Corso diesen Punkt verheimlicht. Noch glaubten sie, dass sie ihn brauchten, hatten einen Grund, ihn am Leben zu lassen – jedenfalls so lange, bis sie erreicht hatten, was sie wollten. Trotzdem musste er ihnen jetzt irgendetwas liefern, etwas, das sich nur an Bord der Piri finden ließ.
Er trat dicht an Dakotas Schiff heran und pirschte langsam die Flanke entlang, obwohl er am liebsten die Beine in die Hand genommen hätte und geflüchtet wäre. Ganz in der Nähe lagen zwei zum Teil zerfetzte Körper, und er gab sein Bestes, um diesen Anblick zu ignorieren.
»Ich gratuliere, Mr. Corso.«
Um ein Haar hätte Corso aufgeschrien, als er Honigtaus Stimme direkt hinter seiner Schulter hörte. Er warf sich herum und sah einen schimmernden Translator, der nur einen Meter von ihm entfernt in der Luft schwebte. Er hatte nicht geahnt, dass diese Geräte eine solche Reichweite besaßen.
»Sie machen das sehr gut«, tönte die körperlose Stimme des Bandati. »Setzen Sie Ihre Arbeit bitte fort.«
»Und Sie hören sofort mit diesem Blödsinn auf!«, krächzte Corso heiser. Der Translator schwebte weiterhin vor ihm, ohne dass eine Antwort kam.
»Ich meine es ernst!«, verlautbarte er mit Nachdruck. »Wenn Sie mir mit diesem Ding in das Schiff hineinfolgen, weiß ich nicht, wie die Piri reagieren wird. Entfernen Sie es wieder, aber sofort !«
Einen Moment lang wartete er voller Anspannung, bis der Translator sich in Bewegung setzte und zu den Gestalten auf der Plattform zurückdriftete. Erleichtert atmete Corso auf.
Dann begab er sich zügig zur Hauptluftschleuse. Mit einem Zischen glitt die Tür auf. Corso hievte sich in das Schiff hinein und lauschte angestrengt.
Hinter der Innentür der Luftschleuse vernahm er knirschende Geräusche, wie von gegeneinanderscheuernden Metallteilen.
»Piri?«, rief Corso, dessen Zuversicht wuchs. Wenn Dakotas Schiff ihn angreifen wollte, hätte er mittlerweile etwas bemerken müssen.
Er aktivierte die Innenluke der Luftschleuse und trat hindurch. »Piri, ich bin’s, Lucas Corso. Kannst du mich hören? Ich komme jetzt an Bord.«
Nichts rührte sich.
»Ich bin immer noch mit Dakotas Vollmacht ausgestattet, die Kontrolle zu übernehmen, Piri«, fuhr er ein bisschen lauter fort.
Die Innentür der Luftschleuse schwang in einer Art und Weise hinter ihm zu, als befände er sich tatsächlich in der Simulation eines Spukhauses. Er peilte in die Düsternis und gab sich einen kurzen Moment lang der Illusion hin, er könne die Kontrolle über die Piri an sich reißen, mit dem Schiff die Luftschleusentore des Hangars durchbrechen und in die Freiheit davondüsen.
Und wie lange würde es dauern, bis sie dich mit ihren Waffen anvisiert und vom Himmel geschossen hätten? Diese Fantasie blieb ein Wunschtraum, weiter nichts.
Selbst nachdem Corsos Geruchssinn nach den vielen Wochen der Gefangenschaft abgestumpft war, weil er sich an die Ausdünstungen seines ungewaschenen Körpers gewöhnen musste, traf ihn der Gestank, der im Inneren der Piri herrschte, wie ein Schlag. Überall befand sich Müll – Teile von Dakotas Bekleidung wie auch Lebensmittelkartons, in denen noch schwarz angelaufene Essensreste klebten. Das Fell, das sämtliche Wände und Oberflächen auskleidete, glänzte nun in der trüben Notbeleuchtung an manchen Stellen speckig.
Er bewegte sich mit äußerster Vorsicht, sich dessen nur allzu bewusst, dass das Schiffsinnere der feuchte Traum eines Paranoikers war. In jeder Nische und jeder Spalte lauerten Abwehrmechanismen, und das alles wurde gesteuert von einer zentralen Pseudo-Intelligenz, die von Grund auf so konstruiert war, sich extrem neurotisch zu verhalten.
Als Erstes begab er sich zu einer Konsole und aktivierte
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