Liebe auf den letzten Blick
enges rotesKleid mit einem klassischen U-Boot-Ausschnitt erstanden, in dem mich keiner mehr übersehen wird.
Irma trägt einen knallgrünen Hosenanzug im China-Look, den sie aus Cannes mitgebracht hat. In Kombination zu den kupferroten Haaren ist sie ein echter Hingucker – solange man ihr nicht ins Gesicht sieht.
Die anstrengenden Vorbereitungen haben sie ausgelaugt, zahlreiche Termine mit Urnen-Eddie und der Catering-Firma und die persönliche Einladung aller Freunde und Bekannter Ottos haben nicht nur Energie gekostet, sondern auch Botox.
»Geh bloß nicht weg, Mathilde«, flüstert mir Irma zu. »Trotz der beiden Happy-Pillen, die ich eingeworfen habe, stehe ich das Kondolenzgesülze nicht allein durch.«
Wir haben uns an einem hohen Tisch positioniert, um die illustre Gästeschar zu begrüßen. Irma hat extra Eintrittskarten für »Otto Goldbachs Last Picture Show« drucken lassen, die jeder Gast zur Erinnerung erhält. Hübsche junge Mädchen in knappen roten Uniformen wuseln zwischen den Gästen umher wie bei einer richtigen Filmpremiere. Schmunzelnd, mit einem Gläschen Schampus in der Hand, betrachten die Promis Fotos von Otto, die auf Staffeleien im Entrée aufgestellt wurden – wenngleich die gute Laune teilweise etwas aufgesetzt wirkt. Selbst Schauspielern fällt es wohl nicht leicht, ihre Trauer um Otto zu überspielen.
Als eine der Kellnerinnen mit einem Tablett vorbeibalanciert, schnappe ich uns zwei Gläser Schampus und proste Irma zu. »Auf Otto!«
»Gute Reise, Otto!«, erwidert sie mit einem kurzen Blick nach oben. »Von deinem Leichenschmaus wird die Stadt noch tagelang sprechen. Ganz, wie du es wolltest.«
Unsere Gläser klirren, und wir nehmen einen Schluck. Kaumhat Irma das Glas abgestellt, ergreift der nächste Promi ihre Hand. Geduldig erträgt sie die Beileidsbekundungen.
»Er hinterlässt eine große Lücke.«
»Er wird uns fehlen.«
»Otto war mein liebster Kollege.«
Nach einer gefühlten Ewigkeit scheint es, als seien alle Gäste eingetroffen.
»Milius fehlt«, unterrichtet mich Irma. »Hast du ihn irgendwo gesehen?«
»Bisher noch nicht.«
Ich dagegen vermisse jemand anderen – Fred. Und kaum denke ich an ihn, tritt er durch die Tür. In Begleitung von Sophie.
Ungewohnt sieht er aus in dem hellgrauen Anzug, unter dem er ein blassrosa Hemd trägt. Sophie hat das bunte Kleid an, das ich von unserer Housewarming-Party kenne. Das aschblonde Haar fällt ihr in weichen Wellen auf die Schultern, sie ist leicht geschminkt und wirkt heute weniger unglücklich als noch letzte Woche.
Das wird an Freds Nähe liegen, sage ich mir und versuche, die aufkommende Hitzewelle wegzuatmen.
Vergeblich. Als Fred vor mir steht, laufe ich puterrot an und spüre, wie sich kleine Schweißperlen auf meiner Stirn bilden.
»Hallo Mathilde«, begrüßt er mich, drückt meine Hand und betrachtet mich ungeniert. »Toll siehst du aus. Rot steht dir wirklich gut. Solltest du öfter tragen.«
»Danke«, entgegne ich verunsichert und wende mich an Sophie. »Hat alles geklappt?«
»Ja, vielen Dank, Mathilde, du warst mir eine große Hilfe«, antwortet sie. »Dana und Moritz bringen Nora in die Krippe und Luis in den Kindergarten.«
Hastig winke ich einem der Servicemädchen und drücke Fred und Sophie jeweils ein Glas in die Hand. »Bis später.«
Fred nickt und schiebt Sophie fürsorglich durch die Menge. Ein hübsches Paar, seufze ich wehmütig und ärgere mich, die beiden eingeladen zu haben. Welcher hinterhältige Teufel hat mich nur geritten?, überlege ich. Sobald ich Fred in meiner Nähe weiß, kreisen meine Gedanken um ihn wie die Erde um die Sonne. Auch wenn ich mir tausendmal sage, dass er nur Sophie liebt und sein Verhalten Bände spricht. Warum sonst hätte er persönlich mit unserem Vermieter verhandelt und auch noch für sie gebürgt, damit sie wieder in ihre Wohnung kann?
Ein sanfter Schubser holt mich in die Realität zurück. Irma zeigt unauffällig Richtung Eingang und wispert mir zu: »Kommissar mit Gattin!«
Milius betritt den roten Teppich in einem eisblauen Smoking, der irgendwie nach Las Vegas aussieht. An seinem Arm schreitet Lola herein. Die schöne junge Gattin trägt ein knöchellanges Kleid in einem modischen Nudefarbton, und tatsächlich enthüllt die knallenge Robe mehr, als sie verbirgt. Vor allem der bauchnabeltiefe Ausschnitt lässt der Fantasie keinen Raum. Dazu mörderisch hohe Stilettos. Ich würde Höhenangst auf den Dingern bekommen. Vorausgesetzt, ein starker
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