Liebe auf den letzten Blick
würde vorschlagen«, antwortet Dr. Rossbach. »Sie schließen auf und lesen Ottos letzten Willen im Haus.«
»Wollen Sie … damit andeuten …«, stammelt Irma. »Dass Otto mir …«
Er nickt ihr aufmunternd zu.
Zögernd greift Irma nach Brief und Schlüssel. Vorsichtig zieht sie dann die Geschenkschleife auf, die dekorativ zu Boden gleitet. Langsam, als könne sie jeden Moment aus einem wunderschönen Traum erwachen, steckt sie den Schlüssel ins Türschloss und schließt auf.
Wir folgen ihr durch das Entrée in den Salon, wo Irma auf eines der ausladenden Rattansofas sinkt.
»Nun mach schon auf«, drängelt Amelie und schubst Gustl auf die gegenüberliegen Goldbach de Couch.
Irma streckt mir den Umschlag entgegen. »Ich trau mich nicht. Mathilde, bitte, lies vor.«
Unschlüssig blicke ich Dr. Rossberg an, der sich auf einem der zahlreichen Korbsessel niedergelassen hat.
»Es spricht nichts dagegen«, sagt er.
»Na gut.« Ich setze mich neben Irma, öffne den Umschlag und entnehme ein blassrosa Blatt Papier.
»München, den 10. Januar 2012«
, beginne ich zu lesen.
»Das ist ja noch nicht lange her«, flüstert Sophie halblaut.
»Richtig«, bestätigt Dr. Rossberg. »Herr Goldbach kam seit Jahren jeweils Anfang Januar in meine Kanzlei, brachte mir einen Umschlag mit aktualisiertem Testament und nannte den Erben.«
»Mein letzter Wille«
, lese ich weiter.
»Ich, Otto Goldbach, in Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte, bestimme Frau Irmgard Schöller zu meiner Alleinerbin. Ich vermache ihr meine Villa, mein gesamtes Barvermögen sowie das Aktiendepot und meinen geliebten Porsche. Bedingungen: Frau Schöller darf das Haus nicht verkaufen und sollte es nach Möglichkeit selbst bewohnen. Ein Zimmer muss als Otto-Goldbach-Erinnerungsraum mit Fotos und Devotionalien ausgestattet werden. Unterschrift, Otto Goldbach.«
Irma greift nach meinem Arm. »Steht das da wirklich?«
Stumm reiche ich ihr das Schreiben, denn auch mir fehlen jetzt die Worte.
»Ha, ich hab’s doch gewusst!«, ruft Amelie und schaut triumphierend in die Runde. »Na, bin ich eine gute Hellseherin oder nicht?«
Ich bin nicht so schnell zu überzeugen und wende mich an den Anwalt. »Ist das denn rechtskräftig, Dr. Rossberg? Ich meine, das ist ja nur ein Brief.«
»Hat alles seine Ordnung«, antwortet er nickend. »Otto hatte keine Verwandten, und Frau Schöller war schließlich seine Verlobte, wie man überall in der Presse lesen konnte.«
Mit wässrigen Augen blickt Irma auf den Diamantring an ihrer linken Hand und schluchzt. »Ich bin … gar nicht … obdachlos«, stammelt sie ergriffen.
»Nein, du bist reich. Stinkreich!«, kichert Amelie und schlägt vor, das zu begießen.
»Vielleicht ist Irma gar nicht nach Feiern zumute«, wendet Gustl ein und sieht die frischgebackene Erbin fragend an. »Sollen wir dich lieber allein lassen?«
Fred nickt ebenfalls. »Ja, du solltest das erst mal alles verdauen.«
Irma atmet tief ein und streckt den Rücken durch. »Nein!«, sagt sie mit fester Stimme. »Mir geht es gut, sehr gut sogar, und ich möchte euch einen Vorschlag machen.«
Gespannte Stille tritt ein. Ich suche Freds Blick. Mir ist alles recht, solange ich mit ihm zusammen sein kann.
»Da die Villa viel zu groß für mich allein ist«, erklärt Irma, »fände ich es schön, wenn ihr alle zu mir zieht.«
»Wer ist alle?«, frage ich unsicher nach.
Dr. Rossberg erhebt sich. »Ich denke mal, das Angebot gilt nicht mir«, bemerkt er schmunzelnd und verabschiedet sich. »Behalten Sie bitte Platz, ich finde allein raus.«
Als die Haustür ins Schloss fällt, erklärt Irma: »Ich meine alle Anwesenden und natürlich auch eure Kinder. Mit einigen Umbauten und zusätzlichen Badezimmern könnten wir aus der Villa ein praktisches Mehrgenerationenhaus machen. Was haltet ihr davon?«
Irmas unerwartetes Angebot lässt uns alle verstummen. Und auch ich benötige einige Sekunden, bis ich begreife – mein Traum von der Großfamilie wird Wirklichkeit.
Informationen zum Buch
Trau keinem unter 60!
Vier Umzüge und ein Todesfall: Mathilde und ihre Freundinnen gründen eine WG, um dem drohenden Seniorenheim zu entrinnen. Doch offensichtlich ist man mit 60 nicht viel schlauer als mit 20, und der schöne Plan schlägt fehl. Statt in der Oldie-Idylle finden sich die vier plötzlich im Mehrgenerationen-Chaos wieder. Und dass die Hormone genauso verrückt spielen wie früher, merken sie nicht nur an Hitzewallungen.
Machen
Weitere Kostenlose Bücher