LIEBE DEINEN NÄCHSTEN Noah Fitz Thriller (German Edition)
LIEBE DEINEN NÄCHSTEN
Thriller
Noah Fitz
Piep, piep pie...
Raphaels Hand drückte auf einen Knopf, wie jeden Morgen. Der nervige Wecker verstummte. Auch wenn Kommissar Morgenstern zwangsbeurlaubt war, stand er jeden Tag, auch am Wochenende, sehr früh auf. Er genoss die Zeit der Ruhe. 'Schlafen kann ich auch später, wenn ich einen Meter unter der Erde liege', diesen derben Witz hatte er von seinem guten Kollegen und besten Freund Michael aufgeschnappt. Sein Chef Seehoffer war so gnädig gewesen und hatte ihm und seiner Partnerin Lisa Glück einige Tage zum Erholen geschenkt. „Auf Anweisung eines Polizeipsychologen“, sagte sein Boss.
Die Tage zu Hause krochen vor sich hin. Raphael war nicht mehr der Jüngste, mit dem Alter wurden die Nächte einfach zu lang. Morgenstern war ein guter Polizist und ein beschissener Vater. Seinen Sohn hatte er seit langem nicht mehr gesehen. Die Arbeit bei der Polizei ließ wenig Spielraum für seine kleine Familie. Die er nicht mehr hatte.
Nachdem er sich rasiert und einige Minuten unter der kalten Dusche verbracht hatte, holte Raphael sich die Morgenpost. Zum Glück war sein Postbote ein pensionierter alter Mann. Er schlief noch weniger als Kommissar Morgenstern. Die Kaffeemaschine zischte vor sich hin. Es roch herrlich nach frischem Toastbrot und der Drucktinte der morgendlichen Zeitung.
Raphael warf die Zeitung auf seinen unaufgeräumten, kleinen Küchentisch. Etwas flatterte zu Boden. Ein kariertes Blatt Papier. Morgenstern runzelte die Stirn, hob es aber nicht sofort auf. Ein klebriger Fleck von der gestrigen Marmelade hielt den Zettel fest. Mit einem kratzenden Geräusch fingerte Raphael das Stück Papier schließlich ab und las die von Hand geschriebene Botschaft: „Suchet die Monde, wo diese nicht sind, folget dem Stern, er zeigt auf das Kind.“
E r hatte in seinen vielen Jahren als Inspektor schon einiges erlebt, doch keiner war bis jetzt so dreist und einfallslos gewesen wie dieser Unbekannte. Raphael wusste sofort, dass es ein Wegweiser sein sollte und jemand sich ein böses Spielchen mit ihm zu erlauben versuchte. Völlig geistesabwesend wollte er den Zettel schon zerknüllen und wegwerfen, da er die letzten Tage, besser gesagt Nächte, nicht geschlafen hatte, und deswegen völlig ausgelaugt und kaputt war. Geistesabwesend besann er sich, es nicht zu tun. Sein Denkorgan funktionierte nur halbwegs so gut wie vor der letzten Hetzjagd. Er wollte sich, bevor der Tag begann, erst einmal eine Tasse Kaffee (schwarz und ohne Zucker) mit seiner „letzten“ Zigarette gönnen. Raphael Morgenstern hatte seit einigen Tagen damit angefangen, mit dem Rauchen aufzuhören. Bis jetzt gab es immer eine passende Ausrede, sein Vorhaben zu verschieben. Die Kaffeemaschine blubberte und verströmte den typisch bitteren Duft frischen Kaffees.
Raphael hielt den Zettel immer noch zwischen den Fingern. ‚Wer könnte der Verfasser des Textes sein?‘ Der Gedanke ließ ihn einfach nicht los. Es gab viele, die er verdächtigen könnte.
Entnervt drückte er das Papier fest in seiner Faust zusammen und stopfte es fuchtig in die Morgenmanteltasche. ‚Der heiße Kaffee wird mich schon aufmuntern‘, dachte er und schenkte sich die heiße, braune Flüssig keit in einen großen Becher ein. Raphael inhalierte eine Nase voll des wohltuenden Dampfes, der aus der grünen Tasse emporstieg. Etwas besserer Laune schlenderte er sodann ins Wohnzimmer. Wie immer war die Zeitung voll von regionalen Geschehnissen gespickt, Morgenstern überflog gelangweilt die Zeilen. Nichts konnte ihn im Moment ablenken. Er fühlte sich ohne Arbeit schnell allein gelassen und überflüssig.
Er vermisste seinen Job und Lisa, seine Partnerin. Sie redete zwar viel, dennoch tat ihm der Umgang mit der jungen Polizistin gut.
„Wir vermissen unseren Vater, Opa ...“ Raphael war nun bei den Todesanzeigen angelangt. Ohne es wirklich wahrgenommen zu haben, hatte er die Zeitung schon durchgeblättert. Der Kaffee schmeckte heute auch nicht so besonders. Raphael musste immer wieder an die Nachricht in seiner Tasche denken. Warum gab es Menschen, die sich so etwas ausdachten? Es war eine der harmloseren Drohungen, die er in seinem langen Berufsleben zu Gesicht bekommen hatte. Keiner von den Verrückten hatte in seinen Drohbriefen auf ein Kind hingewiesen, auch nicht in so einem einfallslosen, fast schon primitivem Reim, bis heute. Seine Hand ertastete in der großen Tasche seines
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