Liebe Dich Selbst Und Es Ist Egal, Wen Du Heiratest
Trauer und die Würdigung dieser Seele. Zwischen beiden stellten sich auf einmal wieder Frieden und Nähe ein, als die Mutter ihrer nie gelebten Trauer Ausdruck verleihen durfte und der Vater endlich in der Lage war, von »unserem Kind« zu reden. Eines Tages sagte er schließlich
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weinend: »Meine Klara.« Damit versiegten die Tränen seiner Frau, und in der Familie war wieder Ordnung hergestellt.
In ausnahmslos allen Fällen von Abtreibung habe ich erfahren, dass es darum ging, die Seele zu würdigen, zu verabschieden und ausreichend zu betrauern, die gekommen und wieder gegangen war. Für moderne Menschen in Zeiten von Hightech-Medizin ein nicht immer ganz leicht nachvollziehbarer Prozess. In allen Fällen, die ich erlebt habe, in denen Abtreibung im Glauben vollzogen wurde, eine Anhäufung toter Zellen zu entfernen, gab es ein Ersterben in der Frau oder der Beziehung bis zu dem Punkt, an dem die Seele nachträglich verabschiedet und betrauert wurde. Nicht selten haben mir Frauen unter Scham erzählt, dass sie seit der Abtreibung das Gefühl hätten, das Kind lebe irgendwie weiter. Waren sie immer noch mit dem gleichen Partner zusammen, hatten sie häufig das Gefühl, das Kind stünde zwischen ihnen.
Um es zum Abschluss aber noch einmal deutlich zu machen: Ich bin keine Abtreibungsgegnerin aus irgendwelchen moralischen, ethischen oder dogmatischen Beweggründen. Ich glaube, dass es Situationen im Leben von Müttern und Vätern gibt, die eine Abtreibung mehr als rechtfertigen. Ich habe nur erfahren, dass wir diesen Schritt dann allerdings in vollem Bewusstsein tun müssen: Wir müssen uns vom Leben eines Menschen verabschieden und diesen Menschen würdigen.
Dieses Kapitel heißt »Kinder der Liebe«. Von Natur aus finden Kinder den Weg in diese Welt, weil sich zwei Menschen in einem Moment miteinander körperlich verbinden.
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In den meisten Fällen gehen sie aus der ekstatischen Verbindung zweier von Herzen verbundener Menschen hervor. Es gibt unzählige Versuche, diesen großartigen, einzigartigen Prozess des werdenden Lebens zu beschreiben. Khalil Gibrans Worte bewegen mich am tiefsten:
Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch.
Und wenngleich sie bei euch sind, gehören sie euch doch nicht Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, doch nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen.
Ihr dürft ihrem Körper eine Wohnstattgeben, doch nicht ihren Seelen, denn diese wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht aufsuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.
Ihr könnt euch bemühen, wie sie zu sein, aber trachtet nicht danach, sie euch gleich zu machen.
Denn das Leben geht weder zurück noch verharrt es im Gestern.*
* Khalil Gibran: »Der Prophet«, in K. G.: Die Prophetenbücher, München: Goldmann 2002, S. 32
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7. Kapitel
Die Liebe - Arbeit, Ausdauer,
Disziplin und Ernte
Eine lebendige, erfüllende Beziehung fordert alles von uns. Je intimer, tiefer und kraftvoller sie ist, desto weniger lässt sie Raum für Selbstbetrug. Sie fordert uns heraus zu erkennen, dass wir fast alles, was wir einst im Alleinsein von uns glauben, nicht sind. Sie fordert uns ständig aufs Neue heraus, uns zu entblättern, uns nackt in unserem tiefsten Kern zu zeigen - und dort sind wir Liebe. Diese tiefste aller spirituellen Wahrheiten können wir aber nur erleben, wenn wir in Beziehung zu anderen Menschen treten, wenn wir uns wirklich einlassen. Sonst können wir lesen über unser göttliches Wesen, können wir darüber meditieren und diese Tatsache studieren, aber es wird uns alles nichts nützen. Mittlerweile kenne ich eine Menge Leute mit wahrhaft erleuchtendem theoretischem Wissen und einer umfänglichen spirituellen Bibliothek. Und doch wirken viele von ihnen auf mich wie verheißungsvolle, aber ungeküsste Jungfrauen.
Tatsächlich hängt das Maß an Lebendigkeit und Erfüllung in unserem Leben einzig davon ab, wie sehr wir unsere tatsächliche innere Wahrheit erleben. Wie sehr wir uns selbst als liebende Wesen erfahren können. Wie sehr wir uns trauen, überwinden und herausfordern, diese Wahrheit mit Geduld, Ausdauer, Mut und Disziplin ins Leben zu bringen. Wie sehr 354
wir uns trauen, unserem Herzen zu folgen und uns verletz-bar zu machen. Vor allem aber, wie sehr wir anderen - vor allem unseren Partnern - vergeben und unser Urteil über ihr Anderssein überwinden können. Wenn wir uns in
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