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Liebe gegen jede Regel

Liebe gegen jede Regel

Titel: Liebe gegen jede Regel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Grey
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Lustig oder traurig?
    Ich werde langsamer. Sofort spüre ich die Wärme in meinen Muskeln. Die Lungen blähen sich auf, saugen den Sauerstoff ein. Das Herz pumpt. Mein Gesicht und die Hände sind nass vom Regen. Auch der Stoff der Sweatshirtjacke ist feucht. Tief ausatmend streiche ich mir eine dunkelbraune Haarsträhne aus der Stirn.
    Am Hauseingang treffe ich auf eine Nachbarin. Sie wohnt ein Stockwerk unter mir. Eine Frau mittleren Alters. Kettenraucherin. Auch jetzt hat sie eine Zigarette im Mundwinkel. Wenn sie durch das Treppenhaus schleicht, stinkt es noch eine halbe Stunde später nach kaltem Rauch und schlechtem Atem. Sie hat ungepflegtes Haar und trägt ständig einen abgenutzten, alten Morgenmantel. Mit verbissener Miene fummelt sie an ihrem Briefkasten herum. Sie hat irgendein widerliches Boulevardblatt abonniert. Kurz sieht sie mich an. Ein böser, hämischer Blick aus blutunterlaufenen Augen. Sie grüßt mich nicht. Die meisten Leute aus dem Haus grüßen mich nicht. Man will nichts mit mir zu tun haben. Ich bin eine Schwuchtel, ein Homo, eine Tucke, ein Schwanzlutscher, Warmduscher, Arschficker, ach, es gibt so viele charmante Bezeichnungen, die man jemandem wie mir hinterher rufen kann.
    Ich finde es fast schon amüsant, von einem Haufen alter, arbeitsloser Biedermänner ohne Ausbildung und Niveau diskriminiert zu werden.
    Natürlich könnte ich mich über diese maßlosen Unverschämtheiten, falschen Vorurteile und miesen Verleumdungen aufregen. Recht dazu hätte ich allemal. Aber ich tue es nicht. Vielleicht bin ich zu alt, um dem inneren Drang nach Gleichberechtigung und Akzeptanz nachzugeben. Vielleicht zu klug. Aber ich denke, die Wahrheit ist, dass ich einfach keine Zeit und keine Lust habe, um mich intensiv mit meinen beschränkten Nachbarn zu beschäftigen und Demoplakate für die Rechte der homosexuellen Gemeinschaft zu malen. Meine Freunde bezeichnen mich manchmal als illoyal. Ich nenne sie im Gegenzug naiv.
    Mit angehaltenem Atem gehe ich an der Alten vorbei. Schnell sind die Stufen zu meiner Wohnung erklommen. Warum ich immer noch in diesem Haus wohne, werde ich öfters gefragt. Weil es bequem ist, gebe ich dann immer zu. Es ist billig und sehr zentral. Die Wohngegend ist ruhig, einigermaßen sauber und sicher. Die Verkehrsanbindungen sind ideal. Ich bin in einer halben Stunde auf dem Land bei meinen Eltern und in fünfzehn Minuten in der Stadt, wo ich arbeite.
    Was will man mehr?
    »… und nun der sommerliche Gute-Laune-Hit von Großbritanniens neuem Superstar…« Der Radiomann hat immer noch gute Laune. Mit beschwingter Stimme sagt er einen Pophit nach dem anderen an.
    Ich streife mir die Laufschuhe von den Füßen und verstaue sie ordentlich in ihrem Fach im Schuhschrank. Die durchweichte Jacke hänge ich zum Trocknen auf. Meine restlichen Klamotten wandern in den Wäschekorb. Nackt betrete ich das winzige Badezimmer und steige unter die Dusche.
    Ich bin kein eitler Mann. Stunden im Bad und vor dem Spiegel zu verbringen, liegt mir fern. Für Eigenlob und selbstverliebte Egobezeugungen fehlt mir das Selbstbewusstsein. Wenn ich früher in den Spiegel geschaut habe, blickte ich in die grünen Augen eines dünnen, unscheinbaren, kleinen Schuljungen mit kurzen Haaren und einem schmalen, blassen Gesicht. Keiner bemerkte mich. Und wenn sich doch einmal ein Blick in meine Richtung verirrte, dann blieb er nie lange an meiner schmächtigen Gestalt hängen. Warum auch? Ich war langweilig. Grau wie eine Maus.
    Heute, mit siebenundzwanzig Jahren, hat sich das etwas geändert. Ich bin nicht sehr groß. Gerade mal 1,78 m. Mein Haar ist immer noch dunkelbraun, aber der Schnitt hat sich mit den Jahren etwas geändert. Hinten trage ich das Haar modisch kurz, vorne fallen mir längere Strähnen in die Stirn. Auch meine Figur ist nicht mehr die eines schwachen Schuljungen. Ich bin zwar immer noch schlank, aber nicht mehr ganz so schmächtig. Die täglichen Laufeinheiten und die gelegentlichen Besuche im Fitnesscenter haben ihren Teil dazu beigetragen.
    Ich bin zufrieden mit meinem Äußeren und genieße die interessierten Blicke auf der Straße, die mir gelegentlich folgen. Für Eitelkeit und Arroganz reichen sie aber noch lange nicht aus.
    Mit schnellen Handgriffen rasiere ich mich, putze mir die Zähne und verteile sparsam ein paar Tropfen Parfum auf Hals, Brust und Handgelenke.
    »… das war ein Hit aus den 80er Jahren von Soft Cell: Tainted Love . Es ist nun ganz genau sieben Uhr an diesem

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