Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe gegen jede Regel

Liebe gegen jede Regel

Titel: Liebe gegen jede Regel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Grey
Vom Netzwerk:
Süden Deutschlands einige schwarze Regenwolken…«
    Ich ziehe mir eine graue Kapuzenjacke über das schlichte, weiße T-Shirt und blende Beates weitere Ausführungen über das Wetter aus.
    Handy und Schlüssel werden in der Jackentasche verstaut. Dann trete ich hinaus in den Flur. Fast lautlos fällt die Wohnungstür hinter mir ins Schloss.
    Im Treppenhaus ist es ruhig und dunkel. Es riecht nach kalten Gewürzen.
    Curry oder so.
    Ich beeile mich, die Stufen nach unten zu gelangen.
    Zweiter Stock, erster Stock, Erdgeschoss.
    Jeder meiner Schritte hallt im Flur wieder. Die Wände sind kahl, schmutzig und hässlich. Ihr Anstrich ist ockerfarben.
    Draußen regnet es. Nieselregen. Genau wie von Beate prophezeit.
    Ich ziehe mir die Kapuze über den Kopf und schaue auf die Uhr.
    Fünf Minuten nach Sechs.
    Ich lasse das unauffällige Mehrfamilienhaus hinter mir, als ich mich langsam in Bewegung setze. Ein Schritt vor den anderen. Ich laufe federnd, entspannt, werde nach und nach schneller.
    Die Luft ist kühl und feucht. Es riecht nach nassem Teer und einem verregneten Julimorgen. Grau und düster dämmert der neue Tag. Fast scheint es ihm an Motivation zu fehlen, an dem Wunsch anzubrechen und sich zu zeigen.
    Ich halte den Kopf gesenkt. Meine Augen heften sich auf den pechschwarzen Asphalt des Bürgersteigs. Ich kenne die Straßen dieses Viertels. Ich lebe seit vier Jahren hier, seit dem Ende meines Studiums. Es ist ein ruhiger Stadtteil. In den meisten Häusern wohnen Familien oder Rentner. Kleine Gärten und Parkanlagen gestatten den Bewohnern die Illusion von Natur und Ruhe in einer sonst so hektischen, betongepflasterten und abgasverseuchten Stadt.
    Wie von selbst tragen mich meine Füße die lange Straße entlang.
    Meinen Rhythmus habe ich längst gefunden. Jeder Atemzug und jede Bewegung ist aufeinander abgestimmt. Wie bei einer Maschine.
    Ich genieße das tägliche Laufen. Immer eine halbe Stunde. Dreißig Minuten. Auf die Sekunde genau.
    Ich kenne die Strecke auswendig. Es ist immer dieselbe. Die lange Straße entlang, immer weiter um den Block, vorbei an einer kleinen Grundschule, einem Kindergarten und der Kirche des Viertels. Neben dem Friedhof befindet sich ein kleiner Park. Ein paar alte, hohe Bäume reihen sich um einen stillgelegten, runden Steinbrunnen in dem nie Wasser fließt. Sparmaßnahmen der Stadt.
    Ich umrunde den Brunnen einmal und tippe dabei den mit Moos bewachsenen Rand an. Meine Fingerspitzen streichen über den kalten, glitschigen Stein.
    Tag ein, Tag aus der selbe Weg.
    Warum ich nicht mal eine andere Strecke ausprobiere?
    Ich weiß nicht, darauf habe ich keine Antwort. Es hat sich einfach so eingespielt. Jeden Morgen um viertel nach sechs berühre ich den alten Steinbrunnen. Ich berühre ihn und weiß, dass er da ist, dass er schon gestern da war und dass er morgen wieder da sein wird.
    Das fühlt sich gut an.
    Dann mache ich mich auf den Rückweg.
    Auf dem unebenen Schotterweg haben sich Pfützen gebildet. Von den hohen Bäumen tropft das Wasser. Die Blätter hängen satt grün und feucht glänzend an ihren Ästen.
    Ein morgendlicher Spaziergänger führt seinen Hund aus. Den Kopf gesenkt, schlurft der ältere Mann durch den Park. Der Hund schnüffelt an dem runden Stamm einer prächtigen Kastanie. Er hebt das kurze Bein und markiert sein Revier, während der Mann gähnend stehen bleibt und wartet.
    Ich mag die Stadt, wenn sie noch so verschlafen ist. Stille Trägheit. Unaufdringliche Ruhe. Zwischen all den vielen Menschen kann man doch ein bisschen für sich sein. Und alle lassen einen in Frieden. Wunderbar.
    Ich lasse den Mann und seinen Hund hinter mir.
    Der Kies knirscht unter meinen Füßen. Ich fühle mich angenehm gefordert, lebendig und gesund. Der gesamte Körper erwacht, lebt – nur das Hirn, das darf noch ein bisschen ruhen. Ja, ich genieße diese herrliche Leere in meinem Kopf. Diese halbe Stunde am frühen Morgen ist die einzige gedankenlose Zeit, die ich mir gönne. Dreißig Minuten in denen man nicht überlegen, zweifeln, kalkulieren und hinterfragen muss. Dreißig Minuten, ohne Cleverness, Vernunft, Kreativität und Überlegenheit.
    Wieder geht es vorbei am Friedhof, der Kirche, dem Kindergarten und der Schule.
    Wie jeden Morgen begegnet mir ein Mann mit Aktentasche. Wie jeden Morgen nicken wir uns kurz zu. Wie jeden Morgen schauen wir uns dabei nicht ins Gesicht.
    Ist es nicht seltsam? Täglich trifft man sich auf der Straße und trotzdem schaut man nicht wirklich hin.

Weitere Kostenlose Bücher