Liebe ist ein Kleid aus Feuer
Eins
JANUAR 946
BURG SCHARZFELS AM HARZRAND
D er Taubenschlag war Eilas Lieblingsplatz. So war es gleich beim ersten Mal gewesen, als sie ihn als kleines Mädchen an der Hand des Vaters betrat, und daran hatte sich im Lauf der Jahre nichts geändert. Das Gurren und das Flügelschlagen der Vögel, sobald sie Eilas Stimme erkannten, die Frechsten, die gleich losflogen, um sie zu begrüßen, während die Schüchternen lieber hocken blieben und sich zu putzen begannen, um die freudige Aufregung zu verbergen.
»Du musst ihre Sitzstangen ab und zu dünn mit Anisöl bestreichen, kleiner Habicht«, hatte er damals gesagt, ein Tontöpfchen aus der Mauernische geholt und ihr gleich gezeigt, wie sie es zu machen hatte. Sie liebte es, wenn der erfahrene Falkner sie so nannte, in den seltenen Augenblicken, da er ihr ganz allein gehörte. »Denn danach sind sie verrückt. So kommen sie immer wieder zurück, gleichgültig, wie weit sie sich fortgewagt haben. Das ist das Geheimnis der Schlagtreue.«
Auch jetzt vollzog sich das gewohnte Ritual; Laila und Luis, ihre Favoriten, rieben nach ein paar Augenblicken bereits die Schnäbel an ihrer Wange, wogegen die kleine Tarza mit ihrem verkrüppelten Bein ohne ihren Gefährten geduldig auf der Stange hin und her trippelte, bis Eila zu ihr trat, um sie zu streicheln. Sie hatte die Ringeltaube mit dem weißen Halsfleck verletzt im Schnee gefunden und unter dem Brusttuch hinauf zur Burg getragen, wo sie unter ihrer Obhut langsam wieder gesund wurde.
Doch der innere Friede, den sie sonst stets gespürt hatte, sobald sie bei ihren Tieren war, wollte sich heute nicht einstellen. Vielleicht lag es an den abgeworfenen Daunen, die überall herumschwebten. Die Wintermauser war in vollem Gange, und wenn die flauschigen Federn langsam zu Boden segelten, sah es fast aus, als fielen wieder dicke Flocken und die kalten Monate hätten gerade erst begonnen. Außerdem stank es bestialisch. Es hatte Eila bislang nie etwas ausgemacht, dass es im Taubenhaus streng roch, heute allerdings war es kaum auszuhalten. Bis zum Weihnachtsfest hatte der bucklige Oswin hier regelmäßig sauber gemacht und den Kot anschließend als Dünger für sein kleines Feld weggetragen. Sein Nachfolger schien es damit ebenso wenig genau zu nehmen wie mit allem anderen, was man ihm auftrug. Es lohnte sich kaum, sich seinen Namen einzuprägen, denn er würde nicht lange auf der Burg bleiben, ebenso wenig wie seine Vorgänger es getan hatten.
Eila versuchte, möglichst flach zu atmen, griff zur Schaufel und begann mit der Arbeit. Aber selbst als sie zu schwitzen anfing, konnte das die Stimme der Mutter nicht aus ihren Gedanken vertreiben.
Wenn sie sie wenigstens richtig ausgeschimpft hätte!
Dagegen hätte Eila sich auflehnen können. Doch diese unberechenbare Mischung aus Überdruss und Ablehnung machte sie einfach nur krank. Egal, was sie sagte oder tat, sie konnte der Mutter ohnehin nichts mehr recht machen. Und es würde sogar noch schlimmer werden, wie Eila aus Erfahrung wusste, je weiter Odas Schwangerschaft fortschritt.
»Du musst jetzt besonders rücksichtsvoll sein«, verlangte die alte Malin, Odas einzige Vertraute, die seit Wochen kaum noch von ihrer Seite wich, unermüdlich bestrebt, ihr einen ihrer Kräutersude einzuflößen, wogegen die Schwangere sich nicht minder beharrlich zur Wehr setzte. »Ein Fuchs hat meiner Kleinen ins Herz gebissen. Bevor du geboren wurdest. Ich denke, du bist inzwischen groß genug, um das zu verstehen.«
»Welcher Fuchs, Malin? Wovon redest du?«
Als Antwort nur eine ungeduldige Geste, dann fuhr die Alte fort: »Seitdem blutet sie. Und die Wunde kann sich nicht schließen. Oda lebt in der Schwärze. In ständiger Angst, ganz von ihr verschluckt zu werden.« Malin begann sich die Hände zu reiben, als juckten sie. Dabei hatte sie Eila doch eingeschärft, dass man daran einen Dieb erkennen konnte. »Du hast anscheinend keine Ahnung, was ich meine, Mädchen, was? Da muss es wohl doch noch einige Male Dreikönig werden, bevor eine wie du endlich begreifen lernt!«
Was sollte dieses Geschwätz von Schwärze und Blut, das Eilas Gemüt verdunkelte wie ein Schwarm gieriger Saatkrähen? Alles an der Mutter war doch so hell und zugleich unerreichbar, sogar jetzt, wo Oda vergessen zu haben schien, dass man einen Zuber mit heißem Wasser füllen lassen konnte, um darin zu baden. Selbst in diesem Zustand blieb sie voll kalter, rätselhafter Schönheit, das Haar, die Haut, erst recht die
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