Liebe kennt keine Gefahren
aufhängen lassen; denn sogar er konnte sehen, wie die Stadtbewohner auf die Anschläge reagierten. Der Schwarze Rebell hatte genau das getan, was Jessica von ihm erwartet hatte: Er hatte den Leuten Hoffnung gemacht.
Der Admiral wollte den »Pöbel« nicht bis aufs Blut reizen — was seiner Meinung geschah, wenn er die beiden Verhafteten aufknüpfen ließ —, er wollte ihnen nur zeigen, wer der eigentliche Herr in der Stadt war. Er ließ einen jungen Mann wegen dessen unverschämter Bemerkung auspeitschen. Dieser war dabei ertappt worden, wie er »Unabhängigkeit« oder so etwas Ähnliches murmelte.
Jessica kam eines Abends vom Fischen nach Hause, als sie jemand auf dem Marktplatz am Pranger stehen sah. Sie wäre fast über Abigail gestolpert, die sich im Schatten barg und leise schluchzte.
»Was machst du denn hier? « fragte Jess. »Ich hätte dich um ein Haar umgerannt. «
Abigail schluchzte lauter.
Seufzend stellte Jess ihren Sack voll Muscheln ab. »Was fehlt dir denn, Abby? « fragte sie und suchte ihrer Stimme einen anteilnehmenden Ton zu geben. »Hast du dich mit Ethan gestritten? «
Abigail schneuzte sich und wies mit dem Kopf zum Pranger hin.
In den letzten Tagen war der Pranger nie leer gewesen, doch diesmal machte Jess große Augen. »Ist das dort… deine Mutter? « fragte sie entsetzt.
Abby nickte und wimmerte laut.
Jess lehnte sich, einen Halt suchend, gegen einen Baum. Sie hatte sich zwar darüber amüsiert, Mrs. Wentworth am Herd stehen und Muschel braten zu sehen, aber daß diese stolze Lady nun am Schandpfahl, in Eisen geschlossen, stehen mußte, war keineswegs ein erheiternder Anblick. »Der Admiral? « fragte Jess.
Abby nickte. »Sie habe sich den Engländern gegenüber nicht mit der gebotenen Unterwürfigkeit betragen, behauptete er. « Und in schrillerem Ton: »Er ließ glühende Zigarrenasche auf einen unserer Brokatsessel fallen, und Mama beklagte sich darüber. «
»Wie lange steht sie schon dort? « fragte Jessica die schluchzende Abigail.
»Vier Stunden. Und sie muß noch drei Stunden stehen, bis es dunkel wird. «
»Vermutlich ohne einen Schluck Wasser. «
Abby blickte sie erschrocken an.
»O nein. Vielmehr befahl der Admiral, daß seine Leute ihr, falls sie Durst bekäme, in den Mund… « Und Jessica sagte etwas, was Abigail erschauern ließ,
»Ich fürchte, das traue ich ihm zu«, flüsterte Abby. »Aber er hat jedem verboten, mit ihr zu sprechen. «
»Ich werde kein Wort sagen«, erwiderte Jessica mit fester Stimme, ging zum öffentlichen Brunnen, schöpfte dort eine Kelle voll Wasser und trug sie zu Mrs. Wentworth. Die Lady sah erbarmungswürdig aus: Ihre Augen waren stumpf und leblos, ihre sonst so sorgfältig frisierten Haare verschwitzt und strähnig.
Die Frau sah überrascht hoch, als Jess ihr die Kelle mit Wasser an die Lippen hielt.
»Ihre Hausmagd stiehlt alles, was nicht niet-und nagelfest ist«, sagte Jess leise. »Wie ich hörte, läßt Mr. Wentworth jetzt seine Hunde in den großen SaIon. Und Abigail und Ethan streiten sich, daß die Fetzen fliegen. «
Mrs. Wentworth hob den Kopf so hoch, wie ihr das mit dem Eisen, das sie im Nacken trug, überhaupt möglich war. »Wenn Abigail glaubt, sie könne, nachdem sie mich vor der ganzen Stadt blamiert hat, wieder nach Hause kommen, soll sie sich das aus dem Kopf schlagen. Und James kann etwas erleben, wenn ich heimkomme. Und was diese unverschämte Person, meine Magd, angeht, so werde ich… « Mrs. Wentworth hielt plötzlich inne, und ein Lächeln breitete sich langsam auf ihrem Gesicht aus. »Vielen Dank, Jessica«, flüsterte sie. »Ich habe Ihre Güte nicht verdient nach all den üblen Dingen, die ich Ihnen nachgesagt… «
»Pst«, sagte Jess und strich ihr das Haar glatt. »Sie sind meine beste Kundin, Mrs. Wentworth. Soll ich Ihnen morgen eine Wagenladung voll Austern bringen? «
»Ja, und könnten Sie vielleicht Eleanor dazu überreden, mir ein halbes Dutzend von ihren wunderbaren Austerbroten zu backen? Ich meine, falls Sayer nichts dagegen hat. Und dann bräuchte ich noch… « Mrs. Wentworth hielt erschrocken inne. »Oh, Jess, laufen Sie rasch weg! «
Hinter Jessica war plötzlich der Admiral hoch zu Roß aufgetaucht. Er mußte in einer dunklen Seitengasse auf Übeltäter gelauert haben. Nun setzte er Jessica die Degenspitze auf den Hals, damit sie ihm nicht entfliehen konnte.
»Wer bist du? « rief er mit seiner dröhnenden Stimme zu ihr hinunter.
»Jessica Taggert, ehemaliger Kapitän der
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