Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)
Kribbeln im Bauch. Ich hatte zweiunddreißig andere Mädchen geschlagen, darunter vier, die auch Castle on a cloud vorgetragen hatten. Auf dem Heimweg hielten Dad und ich an einem Burger King, um zu feiern. Wir schworen uns, meiner Mutter nichts davon zu sagen, und diskutierten darüber, mit welchem Song ich beim nächsten Mal antreten sollte. Das war einer meiner besten Tage. Nicht der beste, aber einer von denen, die ganz weit oben stehen. Das einzige Problem an diesem Tag war, dass ich Ruth Roberts geschlagen hatte – sie redete danach nie wieder ein Wort mit mir.
»Da ist Schleimi.«
Wendy stupst mich an, und ich verstecke schnell das Bacon-Sandwich in meiner Schreibtischschublade. Ach du meine Güte, KEN . Ach du meine Güte, KEN , wiederhole ich stumm im Geiste. Ich darf bloß, bloß, bloß nicht »Schleimi« sagen bei meiner Dankesrede.
Ken Bradbury betritt gut gelaunt das Büro. Er ist ein kleiner Mann mit einem breiten, sympathisch-frechen Gesicht und einer Stoppelfrisur. Die hat er, um sein lichtes Haar zu kaschieren. Er kleidet sich ähnlich wie Jonathan Ross: teure Anzüge, die immer einen Tick zu eng wirken, kombiniert mit einer grellbunten Krawatte. Heute ist es eine violette. Gute Wahl, Ken. Hinter ihm kommt ein Mann herein, der mir bekannt vorkommt. Das muss ein Neuer sein aus einer anderen Filiale. Er ist groß und sieht sehr gut aus. Wendy hat ihn offensichtlich auch entdeckt, weil ihr Ellenbogen aufgeregt in meine Rippen sticht. Ausnahmsweise einmal bin ich mit ihr männertechnisch einer Meinung. Der Kerl ist wirklich umwerfend. Groß, Haken dahinter. Dunkelhaarig, Haken dahinter. Schön, Haken dahinter. Volle Punktzahl. Und das ist, wie jede Frau weiß, sehr selten.
»Ich glaube, der könnte eine Sonderbehandlung von der Chefin vertragen«, raunt Wendy mir zu.
Ich lächle.
»Da seid ihr ja alle. Mein Team. Meine Leute. Mein Imperium«, beginnt Ken. Ich liebe Ken, aber er hält sich manchmal für Julius Cäsar.
»Ich rieche euren Hunger, und er riecht großartig«, fährt er fort und holt dann tief Luft. Seltsam, und ich dachte, wir röchen verkatert.
»Also dann, heute ist ein großer Tag. Die Bezirksleitung von London ist, wie wir alle wissen, ein ganz dicker Brocken. Der Bezirksleiter verdient an jeder Vermittlungsprovision, die die Firma ausbezahlt, mit. Der Bezirksleiter stellt ein und kündigt und schwingt die Peitsche. Er motiviert, er führt, er inspiriert.«
Meine Knie fangen an zu zittern.
»Nun, die heutige Bekanntmachung ist an Spannung kaum zu überbieten. Die Wahl fiel auf einen der Besten, wenn nicht sogar auf den Besten der Branche.«
Mein Magen schlägt ein Rad.
»Ich möchte euch John St. John Smythe vorstellen, euren neuen Bezirksleiter!«, verkündet Schleimi stolz, und der große, dunkelhaarige, schöne Mann tritt vor.
Du liebe Güte, ich falle gleich in Ohnmacht. Mein Atem verfängt sich in meiner Kehle, und plötzlich fühlt es sich an, als würde sämtliche Luft aus meinem Körper entweichen. Mir wird ganz schwindlig. Ich fühle mich wie eine Hofdame, die an ihrem Korsett zu ersticken droht. Ich strecke die Hand nach Wendy aus, aber sie starrt mit offenem Mund nach vorn und rechnet nicht damit, dass ich falle. Mit einem Seufzer sinke ich gegen sie, wodurch sie den Kollegen zu ihrer Rechten anrempelt, der daraufhin seinen Starbucks-Kaffeebecher fallen lässt. Wendy und ich landen zusammen in der Kaffeepfütze vor seinen Füßen. Alle drehen sich um und beobachten, wie der Kollege uns beim Aufstehen hilft.
»Sorry, Ken«, ruft Wendy. »Das war ich. Ich habe das Gleichgewicht verloren.« Sie legt fest den Arm um mich, damit ich nicht wieder umfalle.
»Alles okay?«, flüstert sie mir ins Ohr, aber ich kann nicht antworten.
Ich starre den Bastard an, der meinen Job bekommen und meinen Plan ruiniert hat, der alles ruiniert hat. Und er erwidert meinen Blick. Und dann lächelt er, und ich erkenne ihn wieder. Das ist der Mann, der vor Jahren an unserer Haustür klingelte und mir sagte, dass unser Haus wunderschön sei.
Ich könnte heulen, dabei heule ich nie, niemals.
5
Ich habe versagt. Ich habe versagt. Ich habe versagt. Ich habe versagt. Das ist alles, was ich denken kann. Gracie Flowers hat versagt. Gracie Flowers hat versagt. Wieder.
Es ist schon so lange her, als ich das letzte Mal versagte, dass ich beinahe vergessen habe, wie sich das anfühlt. Ist es nicht reizend, wie Demütigung einen zur Strecke bringen kann, selbst wenn man sich ungemein angestrengt
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