Liebe und Tod in Havanna
Morgenmantel des Hotels über, spazierte durch den Salón, öffnete eine Champagnerflasche, aß die Chips aus der Minibar, kehrte auf den Balkon zurück und legte sich schließlich allein in das große Himmelbett. Gegen sechs Uhr morgens war ihm, als hätte es geklopft. Er stand auf, öffnete die Tür. Auf dem Korridor war es leer und still. Er kehrte auf den Balkon zurück. Die Place de la Concorde war inzwischen mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt.
Eine Frau, in einen dicken Schal gemummt, überquerte den leeren Platz in Richtung Brücke. Jo war überzeugt, dass es Anne war. An der Ecke Champs-Élysées angekommen, winkte sie ein Taxi heran und verschwand.
––– ¤ –––
»Man hat Ihnen eine Nachricht unter der Tür durchgeschoben«, sagte der Zimmerkellner, als er den Servierwagen hereinschob, auf dem ein Frühstück wie für einen König thronte. »Die Rosen sind ein Geschenk der Hoteldirektion für Madame!«
»Madame dankt Ihnen«, erwiderte Jo lakonisch und öffnete das Siegel der Nachricht.
Jo,
ich bitte dich, kehre so schnell wie möglich nach Kuba zurück. Wir sind sehr weit gegangen, du und ich. Ich bin verliebt in Arthur, aber dich in Paris zu wissen weckt ein Feuer in mir.
Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Gib mir Zeit, zur Ruhe zu kommen. Nachzudenken.
Pass auf dich auf.
Ich küsse dich.
Anne
Als er das Hotel verließ, war der Schnee geschmolzen. Paris watete im Matsch. Er ging zum Virgin Megastore, um ein paar Platten zu kaufen: die Complete Atlantic Recordings von Charlie Mingus, The Complete Charlie Parker on Verve, Opera in Vout von Slim Gaillard und Slam Stewart und ein paar Platten von Monk, die ihm in Kuba noch fehlten.
Dann betrat er einen Dessous-Laden und wählte drei verführerisch-freche Sets für Nieve. Ein rotes, ein weißes und ein orangegelbes, der Farbe von Ochun, der Göttin der Liebe und des Honigs.
Im Duty-free-Shop in Orly kaufte er eine Ladung verschiedener Parfüms und Whisky und gönnte sich sogar einen kleinen Sony-Ghettoblaster und einen Vorrat an Batterien, für die Tage, an denen der Strom ausfiel.
So wäre er wenigstens nicht so egoistisch wie mit seinem Discman, und Nieve könnte auch Musik hören.
Am Ende hatte er so viele Plastiktüten, dass er sich entschloss, einen Rollkoffer zu kaufen.
Da im Koffer noch Platz war, vervollständigte er seine Einkäufe mit drei großen Gläsern Gänseleberpastete, zwei Flaschen Champagner und unzähligen Tafeln Schokolade und Schachteln Bonbons. »Mein erstes Weihnachten in Kuba! Was sein muss, muss sein!«
Als er gerade an Bord gehen wollte, fiel ihm ein, dass er die Kleine völlig vergessen hatte. Panisch kehrte er zu den Boutiquen zurück, und auf die Schnelle fiel ihm nichts Besseres ein als ein knallbuntes und sperriges Dreirad.
Das Flugzeug war beinahe leer.
Jo war der einzige Passagier in der ersten Klasse und die Flugbegleiterinnen verwöhnten ihn mit einem riesigen Festessen, bestehend aus jeder Menge Kaviarbüchsen, isländischem Lachs und Gänseleberpastete aus der Region Landes.
Kaviar, Lachs und Gänseleberpastete, das berühmte Trio, dachte Jo amüsiert, der seine zweite Flasche Château Canon leerte.
14
S ANTERÍA
Havanna, November
Er erreichte Havanna in einem Zustand totaler Euphorie, überglücklich, wieder da zu sein.
Und als er später über den Malecón fuhr, schrie Jo im Chor mit Mingus, der aus dem Ghettoblaster auf dem Rücksitz plärrte, seine Freude heraus:
»Oh my lordl
I wanna eat that chicken!
Eat that chicken!
Eat that chiiii — cken!«
Er hielt nicht einmal bei sich zu Hause an, sondern raste auf direktem Weg zu Nieve.
Im Hof spielte die kleine Reglita mit leeren Coladosen. Als sie das Dreirad erblickte, strahlten ihre Augen.
»Mira Niña, mi amor, lo que te trajé!«
»Es Yoyo, es Yoyo!«
So nannte sie Jo, der fand, dass Yoyo sehr gut zu ihm passte, da er immerzu kam und ging.
»Mima! Es Yoyo!«
Ohne einen Unterschied zu machen, nannte sie ihre Mutter und ihre Großmutter beim selben Namen, »Mima«, einer Koseform von Mama.
»Dónde está mama?«, fragte Jo und hielt die Kleine dabei auf dem Dreirad fest, damit sie nicht herunterplumpste.
»No está, Jo!«, antwortete ihm Nieves Mutter, die aus ihrer schäbigen Behausung trat.
Sie hatte es mit trauriger Stimme gesagt. Aber sie lächelte dennoch, als sie das Dreirad erblickte.
»Y dónde está?«, fragte Jo, während er seinen Koffer
Weitere Kostenlose Bücher