Liebe und Tod in Havanna
hellauf begeistert ist.
Dann kommt der Theaterstreich! Das Efeu vor dem Fenster erzittert, begleitet vom Schrei einer Eule. Das verabredete Zeichen.
»Das ist der Liebhaber«, gluckste Jos Nachbarin. Offensichtlich hatte sie das Stück schon gesehen.
In der Tat kletterte nun der Liebhaber auf den Balkon.
Anhaltender Applaus begrüßte die Ankunft des Hauptdarstellers.
»Du beliebst wohl zu scherzen, chérie«, röchelte der Liebhaber, »im sechsten Stock zu wohnen! Was, wenn der Efeu abreißt!«
»Aber das ist doch für den dritten Akt vorgesehen, Liebling!«
Brüllendes Gelächter aus dem Saal und auf der Bühne.
»Stimmt, aber im dritten Akt ist es dein Mann, der den Efeu hochklettert.«
Es folgte ein langer philosophisch-burlesker Dialog, in weiten Teilen eine Anleihe von Guitry. Während dieses Dialogs nun kam der versprochene Gag.
Als also Madame und der Liebhaber sich auf dem Sofa küssten, öffnete sich die Schranktür einen Spalt breit und am Ende eines kleinen Stöckchens hatte der Alte eine rote Socke geschwenkt, eine jämmerlich kleine Fahne zum Zeichen seiner Revolte. Sofort war das Publikum in Freudengejohle ausgebrochen. Doch Jo hatte, aus irgendeinem geheimnisvollen Grund, zu weinen begonnen.
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»Du hattest auf dem Sofa einen richtigen Ständer, du schlimmer Finger!«, scherzte die Soubrette, als sie alle drei am Tisch des Restaurants saßen und sich über ihren Hering mit Bratkartoffeln hermachten.
»Red nicht so vor meinem Sohn, Concepción! Er ist extra aus Kuba gekommen, um mich spielen zu sehen! Also, Kleiner? Wie fandest du mich? Wie immer zum Kotzen, oder?«
»Überhaupt nicht, Papa, das Stück war zum Kotzen, aber du warst sehr gut, du hast mich sogar gerührt!«
»Siehst du, Concepción, ich hab ihn gerührt!«
»Na klar, ist ja auch dein Sohn. Und ich, Kleiner, wie fandest du mich?«, fügte Concepción hinzu, wobei sich ihr riesiger Busen Jo bedrohlich näherte.
»Äh, großzügig! Papa hat wirklich Glück.«
»Und trotzdem will er mich verlassen.«
»Ich will nicht dich verlassen, Liebling, sondern dieses Scheißleben! … Ich habe beschlossen, alles zu verkaufen und mit meinem Sohn nach Kuba zu gehen.«
»Und was wird aus mir? Du lässt mich einfach allein.«
»Du hast zu viel Talent, chérie, viel zu viel Talent. Man kann doch das Pariser Boulevardtheater nicht einer Soubrette, wie du es bist, berauben! Und außerdem weißt du doch, dass unsere Liebe, so hübsch sie jetzt auch sein mag, nicht länger währen wird als das Stück. An dem Abend, an dem der letzte Vorhang fällt, wird jeder von uns wieder seiner Wege gehen.«
Sie stieß einen spitzen Schrei aus, warf sich in die Arme des Alten, und dann rollten beide in einem langen, leidenschaftlichen Kuss über den Tisch.
»Du bist wenigstens ein Mann! Du gibst einem Zuversicht, und du zweifelst nicht an dir selbst«, flüsterte Concepción zwischen zwei Küssen. Dann fiel ihr wieder ein, dass Jo da war, und leicht verlegen fügte sie hinzu: »Verzeihen Sie, Jo, wir lassen Sie jetzt allein. Ich will die Zeit nutzen, solange ich ihn noch habe.«
Eng umschlungen wie zwei Tangotänzer, waren sie aufgestanden und hatten sich in ein Taxi gezwängt, das die an leidenschaftliche Szenen gewöhnte Geschäftsführung bereits bestellt hatte.
Als der Maître d’Hôtel die Autotür schloss, rief der Alte mit vor Erregung gerötetem Gesicht seinem Sohn noch zu: »Ruf mich morgen an, Jo, und sei mir nicht böse. Ich bin alt, verstehst du? Ich muss das Leben genießen, solange es noch geht.«
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Eine Nacht im Crillon zu verbringen war immer ein alter Traum von Jo gewesen. Er hatte in den Memoiren von Jean Marais dessen hübschen Bericht über die Befreiung von Paris gelesen, der Marais vom Balkon der Suite Nummer drei beigewohnt hatte: Unten auf dem Platz paradierte De Gaulle inmitten einer begeisterten Menge, und Cocteau und Marais standen in Unterhosen auf dem Balkon, rauchten eine Zigarette und beobachteten das Schauspiel.
Der Balkon war nicht verändert worden. Aber der Platz war leer und Jo, auch in Unterhose – ein Versuch der Assimilierung –, klapperte in dieser Dezembernacht vor Kälte mit den Zähnen. Es hatte zu schneien begonnen.
Liebte er Anne? Jedenfalls hätte er sich gewünscht, dass sie da wäre. Wie heißblütig sie in Miami gewesen war! Als hätte sie seit sechs Monaten keinen Sex mehr gehabt.
Er nahm ein Bad in dem riesigen Badezimmer, zog einen
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