Liebe und Tod in Havanna
Boote Kreise im Wasser. Viele Rentner, die, den Bauch der Sonne dargeboten und einen Cocktail in Reichweite, auf der Hochsee angelten.
Mindestens dreimal glaubte Jo, Hemingway zu erkennen, der Look schien ziemlich modern zu sein.
»Schreibst du, Jo?«
»Nein, überhaupt nicht mehr. Die Muse hat mich total verlassen.«
»Was machst du denn dann in Havanna?«
»Ich lebe.«
»Mit wem?«
»Einer kleinen Mulattin.«
»Ist sie nett?«
»Sie ist sehr nett.«
»Hast du Pläne?«
»Was für Pläne meinst du?«
»Ich weiß nicht. Künstlerischer Art, oder einfach Lebenspläne.«
»Nein, nicht wirklich. Ich lasse mich treiben. Ich glaube, man kann ein sehr glückliches Leben führen, ohne irgendwelche Pläne zu haben. Ich bin mittlerweile allergisch gegen Leute, die Pläne haben. Pläne dienen fast immer dazu, eine völlige Abwesenheit von Gegenwart zu kaschieren. Im Moment ist mir die Gegenwart am liebsten, und mir geht es sehr gut damit.«
»Kommst du nach Frankreich, deinen Vater besuchen?«
»Ich denke nicht, höchstens Weihnachten, ein oder zwei Tage. Aber mir wär’s lieber, er würde kommen. Kuba ist wie für ihn geschaffen.«
»Ich fliege morgen, Jo«, sagte Anne und ihre Stimme verriet ihre Erregung.
»Ich werde dafür sorgen, dass du mir nicht fehlst«, erwiderte Jo kühl.
»Du wirst mir auch nicht fehlen, aber ich möchte dich sehr gern ab und zu wiedersehen. Du warst ein mittelmäßiger Ehemann, aber du bist ein wunderbarer Liebhaber.«
So redeten sie, bis sie wieder am Jachthafen waren. Eine nicht enden wollende Flut von Fragen und Antworten. Eine bittersüße Musik. Sie betäubten einander mit Worten, als bestünde in ihnen ein Überdruck, der nun abgelassen werden musste, bedachten einander abwechselnd mit Dummheiten und Zärtlichkeiten, Lügen und Geständnissen.
Sie ließen sich Champagner und Hochprozentiges aufs Zimmer bringen und erlebten an diesem Abend den Vollrausch ihres Lebens.
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Abschiede auf Flughäfen haben oft etwas ausgesprochen Oberflächliches. Kaum angekommen (natürlich zu spät), wurde Anne von einer Flugbegleiterin hektisch zur Gangway dirigiert.
Folglich gab es weder Abschiedsworte noch einen Kuss, ja nicht mal einen Blick, und Jo blieb allein zurück, wie ein Idiot, verloren in diesem riesigen Flughafengebäude, in dem sich Hunderte jener berühmten beleibten Kubaner in Jogginganzügen tummelten.
Er nahm sich ein Taxi und fuhr Nieves Bruder besuchen.
Dieser wohnte uptown, in einem abgelegenen Vorort, und nun erst begriff Jo, dass Miami keineswegs eine Geisterstadt war. Gewiss, das Zentrum war unmenschlich, wie ein Totem aus Glas und Stahl, das bei Einbruch der Nacht öd und leer war. Doch sobald man in die Randbezirke vordrang, herrschte überall Getümmel, ganz genau so wie in Havanna. Die gleiche Musik, die gleiche Sprache, das gleiche Elend, etwas weniger Löcher in den Straßen, und das Wasser kam hier auch bis in die oberen Stockwerke, aber das war auch alles. Nieves Bruder arbeitete in einer schäbigen Werkstatt, einem alten Schuppen am Ende einer Sackgasse. Er empfing Jo mit einer gewissen Verlegenheit. Seine Lage, das konnte man sehen, war nicht besonders rosig. Er hatte zugelegt, aber abgesehen davon, schien sein Lebensstandard nicht wirklich wesentlich glanzvoller.
»Sag Mama, dass alles gut läuft! Unsere Ankunft mit der Barke war nicht gerade ruhmreich. Ein paar Meilen vor Key West ist uns der Sprit ausgegangen, die Küstenwache musste uns abschleppen. Ich war zwei Monate in einem Auffanglager, bis mein Cousin für mich gebürgt hat. Die meisten meiner Kumpels sind nach einem Aufenthalt in Guantánamo direkt nach Kuba zurückgeschickt worden. Ich hab’s geschafft, aber es gibt Tage, da bereue ich’s.
Sag Nieve, dass es hier genauso ist wie in Havanna! Alle sind Kubaner, wir bleiben unter uns, handeln untereinander, vögeln untereinander, wir schmoren im eigenen Saft und sind kein Stück amerikanischer als vorher. Wenn ich noch mal die Chance hätte, würde ich nach Europa auswandern. Nach dem, was man so hört, ist es dort leichter, sich zu integrieren, man wird mehr respektiert.«
Jo fuhr mit einer Handyattrappe für Nieve, einer grellbunten Girlande für ihre Mutter und einer Donald-Duck-Seife für die Kleine zum Flughafen.
Gegen Mitternacht kam er in Havanna an. Am Terminal herrschte hektische Betriebsamkeit. Den ganzen Nachmittag hatte ein Tropensturm gewütet, daher waren die meisten Flüge verschoben
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