Liebe – wie im Maerchen
Fenster hinaus.
Die letzten vierundzwanzig Stunden waren wie ein Alptraum für sie gewesen. Fast hätte sie ihr Baby verloren, und nun hatte sie eine Schutzmauer um sich errichtet, durch die keiner mehr an sie herankam.
Auch ihre Mutter hatte sich durch die schreckliche Erfahrung verändert. Die Angst um das Leben ihrer Tochter hatte sie von ihrem hohen ROSS gestoßen und wieder erkennen lassen, was wirklich wichtig im Leben war. Wie durch ein Wunder war es dann den Ärzten gelungen, nicht nur Evie, sondern auch das Baby zu retten. Doch wenn Lucinda Evie jetzt betrachtete, fürchtete sie um die seelische Gesundheit ihrer Tochter. "Ich dachte, du würdest ihn lieben", sagte sie leise. "Verdient er es denn nicht im Namen dieser Liebe, angehört zu werden?"
"Nein", lautete die harte Antwort.
"Evie..."
"Ich bin müde." Evie schloss die Augen und hoffte, dass ihre Mutter sie endlich in Ruhe lassen würde.
Überraschenderweise schlief sie tatsächlich im Nu ein. Sie hörte nicht einmal mehr, wie ihre Mutter leise das Krankenzimmer verließ.
Als sie wieder aufwachte, war es draußen schon dunkel, und eine Krankenschwester beugte sich über sie.
"Sie müssen etwas essen, Miss Delahaye", sagte die Schwester.
"Sie haben seit über vierundzwanzig Stunden nichts mehr zu sich genommen, und das ist auch für Ihr Baby nicht gut."
Da es Evie immer noch streng verboten war, aufzustehen, half die Krankenschwester ihr, sich ein wenig zu waschen, kämmte ihr das Haar und schob ihr dann das Tablett mit ihrem Abendessen übers Bett.
"Sie haben einen Besucher. Er wartet schon seit vielen Stunden.
Wären Sie einverstanden, ihn nur für eine Minute zu sehen?"
Evie blickte schweigend auf ihr Essen.
"Ich glaube nicht, dass er gehen wird, bevor Sie ihn nicht empfangen haben", fuhr die Schwester fort. "Er ist gestern spätabends angekommen und hat seitdem das Wartezimmer nur verlassen, um sich in einem der leeren Zimmer zu waschen und umzuziehen. Ihre Mutter hat auf ihn eingeredet, sein Begleiter hat auf ihn eingeredet -
und wir Schwestern ebenso. Er reagiert überhaupt nicht. Ich habe eine solche Sturheit noch nicht erlebt!"
Evie begann stumm, ihre Suppe zu löffeln. Die Schwester seufzte und ließ sie allein. Nach einer Weile drehte Evie sich auf die Seite, legte die Hände beschützend auf ihren Bauch und schlief wieder ein.
Als sie erneut erwachte, dämmerte es draußen, und am Fußende ihres Bettes stand ein Mann, der ihre Krankenkarte begutachtete.
Er blickte auf, als Evie sich regte. "Guten Morgen, Miss Delahaye", sagte er lächelnd. "Ihr Kind scheint fest entschlossen, dort zu bleiben, wo es sich befindet. Ich vermute, das liegt daran, das es von zwei Seiten eine gehörige Portion Eigensinn mitbekommen hat."
"Asim!" flüsterte Evie. "Was tun Sie hier?"
"Ich bin Scheich Raschids Leibarzt - was bedeutet, dass ich jetzt auch der Leibarzt seines Kindes bin."
"Ist das ein Scherz?" fragte Evie und richtete sich auf.
"Nein, kein Scherz", erwiderte Asim ruhig. "Von nun an werde ich überall hingehen, wo Scheich Raschids Kind hingeht. Kommen Sie", fügte er hinzu, als er Evies entsetzte Miene sah, "wir sind doch gute Freunde, öder nicht? Ich werde mich diskret im Hintergrund halten, und ich bin sicher, das wir gut miteinander auskommen werden."
"Und welche Rolle spielt Raschid bei der Sache?" fragte sie scharf.
"Im Moment sitzt er genau da, wo er seit seiner Ankunft vorgestern Abend gesessen hat", antwortete Asim. "Und dort erwartet er auch meinen Bericht über den Gesundheitszustand seines Kindes."
"Aber nicht über den der Mutter", folgerte Evie bitter.
"Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hängt der Gesundheitszustand des Kindes gänzlich von dem der Mutter ab, so dass sie natürlich sehr wichtig ist. Was jedoch die Frau betrifft, so hat Scheich Raschid inzwischen akzeptiert, dass sie ihm nie verzeihen wird. Was wiederum auch recht unbedeutend ist angesichts der Tatsache, dass er sich selber nie verzeihen wird."
"Wenn Sie vielleicht versuchen, mein Mitgefühl zu wecken, Asim", sagte Evie und langte nach der Wasserflasche auf dem Nachtschränkchen, "dann sparen Sie sich die Mühe."
"Warten Sie, ich helfe Ihnen." Asim nahm ihr die Wasserflasche ab, schenkte ihr ein Glas mit Wasser ein und reichte es ihr.
Schweigend beobachtete er, wie sie trank, nahm ihr das Glas wieder ab und stellte Flasche und Glas zurück. "Empfangen Sie ihn, Miss Delahaye", bat er dann ruhig. "Er hat seit zwei Tagen weder geschlafen noch gegessen, und
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