Liebe wird oft überbewertet
Valentinstagsbräuche kann ihm also kein Vorwurf gemacht werden. Denn allgemein bekannt wurde der Valentinstag erst etwas später durch die verstärkte Werbung der Floristen- und Süßwarenindustrie.
So schlimm es in Berlin ist, in Paris ist es noch ärger. Das war dieser Tage einem »People-Magazin« zu entnehmen. Der Pariser Bürgermeister hatte nämlich im Zuge des Stadtmarketings zum Valentinstag städtische Leuchttafeln für privat-intime Bekenntnisse der Pariser Bürger freigegeben. Die konnten bis zu 160 Zeichen per SMS einsenden, die schönsten Sprüche sollten dann am Valentinstag auf den Leuchttafeln erstrahlen. Auf der Internetseite des Rathauses warb man für die Aktion: »Sie sehen ihn jeden Morgen in der Metro. Er stellt sein Rad neben ihrem ab. Sie gehen in dieselbe Bäckerei – aber Sie haben nie gewagt, ihn anzusprechen.«
Da kann man nur froh sein, wenn man nicht in Paris, der Stadt der Liebe, sondern in Berlin, der Stadt der Ruppigkeit und schlechten Laune, wohnt.
Ein bisschen übertrieben haben es mal wieder die Russen. Presseberichten zufolge sagten die Behörden der Stadt Belgorod aus Sorge um die »spirituelle Sicherheit« alle Veranstaltungen zum Valentinstag ab.
Zivilisierter geht es in Finnland zu. Dort wird der Valentinstag als »Freundschaftstag« gefeiert, an dem man – meist anonym – denen, die man sympathisch findet, Karten schickt oder kleine Geschenke übermittelt. Dieser »Freundschaftstag« ist gegenüber dem angelsächsischen oder kontinentaleuropäischen »Valentinstag« deutlich enterotisiert. Die finnische Lösung ist doch sehr sympathisch, überhaupt wäre es erfreulich wenn die Freundschaft in unserer Gesellschaft eine ähnliche Bedeutung wie die überbewertete Liebe erlangen könnte. Sie ist doch als Konzept viel vielversprechender, leichter praktikabel, robuster und langlebiger als die tumbe Liebe.
Es gibt an diesem schrecklichen Valentinstag aber auch Hoffnung. Auf »Spiegel Online« gab es heute die überraschende Schlagzeile: »Jeder Fünfte zieht Haustier dem Partner vor.« Demnach hatte eine Befragung in 23 Ländern ergeben, dass jeder Fünfte am Valentinstag seinen Partner sitzenlassen würde, um mit seinem Haustier Zeit zu verbringen. Das gibt doch Hoffnung auf eine Zeit nach der Pärchendiktatur.
Kinocenter Friedrichshain, 25 . Februar
Aber die Freundschaftspflege kann manchmal auch ganz schön schwierig sein! Schon ab einem Durchschnittsalter von 35 wird die Ausgehgruppe immobiler, und immer früher muss man mit der Ausgehplanung beginnen. Kinder, Arbeit, Hund lassen die Ausgehmoral so einer Gruppe sinken, und wer will da urteilen? Es hat ja schließlich nicht jeder so viel Zeit und Muße wie die unterbeschäftigte, alleinstehende Songwriterin und Paarkritikerin. Aber wo ein Wille ist, wird auch mal wieder ausgegangen. Allerdings muss vorher in einem tagelang währenden exzessiven Rundmailwechsel die Restgruppe von der Ablehnung des Programmpunkts »Essen gehen« überzeugt werden.
Als mir vor etwa zehn Jahren ein damals vielleicht 32 -jähriger Freund erzählte, er gehe ja inzwischen lieber essen statt in Clubs, man sitze beim Italiener so herrlich lange am Tisch und trinke dann einen letzten Grappa nach dem anderen, versuchte ich verzweifelt, einen milden Gesichtsausdruck aufzusetzen, damit mein Mienenspiel nicht aufwallende Verachtung und Entsetzen verriet. Aber wahrscheinlich war dieser Bekannte ein Trendsetter. Denn wenige Jahre später baute ein Berliner Stadtmagazin sein Heft mit einem absurd großen Gastro-Teil zum Restaurantführer um.
Inzwischen hat die Gastroisierung des Ausgehlebens so überhandgenommen, dass man längst sagen muss: »Essen gehen ist das neue Ausgehen.« Im Studentenviertel Neukölln trifft man sich in improvisierten Wohnzimmerrestaurants, in Clubs gibt es Themenabende, bei denen zu Musik öffentlich gekocht und gegessen wird. Vielleicht ist es die Generation der Einzelkinder, die – früher immer nur der unheiligen Allianz Vater, Mutter, Kind ausgeliefert – nun beim Sitzen an großen Tischen mit mehr als drei Personen Trost sucht.
Nachdem ich den Vorschlag »Essen gehen« abschmettern konnte, kam sofort wieder die alte Frage »Wohin, wohin, wohin mit uns?« auf. Ins Kino!
Das Kino ist eine der wichtigsten Erfindungen des letzten Jahrhunderts. Mag der Tag noch so verhunzt sein, abends ins Kino zu gehen schafft doch immer so ein glamouröses Grundgefühl. Ein sehr nützlicher Imperativ bei der Gruppendiskussion
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