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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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nicht die einzige war.
    »Im Sommer habe ich übrigens Neue Erde noch einmal gelesen«, sagte ich. »Hast du das mal gelesen?«
    »Vor langer Zeit.«
    »Hamsun feiert darin den Unternehmer. Er ist jung und
dynamisch und die Zukunft der Welt und der große Held. Für den Kulturmenschen hat er nur Verachtung übrig. Schriftsteller, Maler, das ist alles nichts. Aber der Geschäftsmann! Das ist amüsant. Begreifst du eigentlich, was für ein Querkopf dieser Mann gewesen ist!«
    »Mm«, sagte er. »Es gibt einen Abschnitt in der Biografie über ihn, in dem er es auf ein paar Dienstmädchen abgesehen hat. Kolloen behandelt die Sache stiefmütterlich oder steht ihr besser gesagt völlig verständnislos gegenüber. Aber Hamsun kam doch aus den allereinfachsten Verhältnissen. Das vergisst man gerne. Er war ein Arbeiterschriftsteller. Seine Familie gehörte zu den ärmsten der Armen. Für ihn standen Dienstmädchen doch eine Stufe höher auf der Gesellschaftsleiter! Man kann aus Hamsun nichts herausholen, wenn man das nicht versteht.«
    »Er blickte nie zurück«, sagte ich. »Es ist, als wären die Eltern kein Bestandteil seiner Psychologie, wenn du verstehst, was ich meine. Man bekommt den Eindruck von ein paar grauen, alten Menschen an der Wand in einem Zimmer irgendwo in Nordnorwegen, so grau und alt, dass man sie kaum von den Möbeln unterscheiden kann. Sie waren Hamsuns späterem Leben so fremd, dass sie nicht die geringste Relevanz besaßen. Aber so kann es natürlich nicht gewesen sein.«
    »Kann es das nicht?«
    »Doch, schon, aber verstehst du, was ich meine? Es gibt bei Hamsun, abgesehen von Der Ring schließt sich , keine einzige Kindheitsschilderung. Und fast keine Eltern. Die Leute in seinen Büchern kommen aus dem Nichts. Haben keine Vergangenheit. Weil sie tatsächlich keine Bedeutung hatte oder weil ihre Bedeutung verdrängt wurde? Auf die Art werden seine Figuren in gewisser Weise zu den ersten Massenmenschen, das heißt, ohne eine eigene, bestimmende Herkunft. Sie werden von der Gegenwart bestimmt.«
    Ich nahm mir ein Stück Pizza, kappte die langen Käsefäden, an denen es festhing, und biss ab.
    »Probier mal den Dip«, sagte er. »Er schmeckt gut!«
    »Den Dip kannst du behalten«, erwiderte ich.
    »Wann musst du eigentlich da sein?«
    »Um sieben. Es fängt um halb acht an.«
    »Dann haben wir noch massig Zeit. Sollen wir nicht ein bisschen herumfahren? Dann kannst du ein paar von deinen alten Orten wiedersehen. Ich habe auch ein paar Kristiansand-Orte. Mutters Onkel und seine Familie wohnten im Stadtteil Lund. Ich hätte Lust, da noch einmal vorbeizuschauen.«
    »Wir trinken vorher noch woanders einen Kaffee. Dann fahren wir. Einverstanden?«
    »Es gibt hier in der Nähe ein Café, in das wir immer gegangen sind, als ich klein war. Mal sehen, ob es das noch gibt.«
    Wir zahlten und gingen hinaus und machten einen Abstecher zum Hotel Caledonien, und dort erzählte ich ihm von dem Feuer, als ich hinter den Absperrungen gestanden und zu der schwarzen Fassade hochgestiert hatte, als alles vorbei war. Wir gingen an den Containern im Hafen vorbei, zum Busbahnhof, an der Börse hinauf, über die Markens gate und in irgendein künstlerisch aussehendes Café, setzten uns dann aber trotz der Kälte nach draußen, damit ich rauchen konnte. Danach gingen wir zum Auto, fuhren zunächst zu dem Haus in der Elvegaten, wo ich in jenem Winter gewohnt hatte, in dem sich meine Eltern scheiden ließen. Das Haus war verkauft und renoviert worden. Dann fuhren wir zum Haus meiner Großeltern, in dem Vater gestorben war. Drehten auf dem Platz vor dem Jachthafen, hielten in der kleinen Gasse und schauten zum Haus hinauf. Es war mittlerweile weiß gestrichen worden. Sie hatten die Latten ausgetauscht. Der Garten war gepflegt.
    »Das war es?«, sagte Geir. »Ein schönes Haus! Hübsch,
bürgerlich, teuer. Das hätte ich nicht gedacht. Ich hatte es mir anders vorgestellt.«
    »Ja«, sagte ich. »Das ist es. Aber ich hege keine Gefühle dafür. Es ist nur ein Haus. Es bedeutet mir nichts mehr. Das sehe ich jetzt.«
     
    Zwei Stunden später hielten wir vor der Volkshochschule, in der ich lesen sollte. Sie lag in der Nähe von Søgne mitten im Wald. Der Himmel war pechschwarz, überall leuchteten und funkelten Sterne, es rauschten ein naher Fluss und die Bäume im Wald. Das Geräusch der Autotür, die zugeschlagen wurde, hallte zwischen den Häuserwänden wider. Dann schloss sich die Stille um uns.
    »Bist du sicher, dass wir hier

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