Lieben: Roman (German Edition)
haben wir unsere Ausrüstung bekommen. Aber das hier gab es damals natürlich noch nicht.«
Er drückte auf den Schlüssel, und ein roter, zwanzig Meter entfernter Saab blinkte. Auf der Rückbank stand ein Kindersitz für seinen Sohn Njaal, der einen Tag nach Heidi geboren worden war und dessen Pate ich war.
»Willst du fahren?«, sagte er und schmunzelte.
Mir fiel keine passende Antwort ein, also grinste ich bloß, öffnete die Tür und setzte mich hinein, schob den Sitz zurück, ließ den Gurt einrasten, sah ihn an.
»Wollen wir nicht fahren?«
»Und wo wollen wir hin?«
»In die Stadt? Was sollen wir sonst tun?«
Er drehte den Zündschlüssel, setzte zurück und bog auf die Straße ein.
»Du wirkst ein wenig bedrückt«, sagte er. »Ist es doch nicht so gut gelaufen?«
»Es ist gut gelaufen. Und ich habe nicht vor, dich damit zu quälen, was nicht so gut läuft.«
»Warum nicht?«
»Ach, du weißt schon…«, sagte ich. »Es gibt kleine Probleme, und es gibt große Probleme.«
»Dass gestern meine Mutter beerdigt wurde, fällt nicht in die Kategorie Problem«, erwiderte er. »Was geschehen ist, ist geschehen. Jetzt komm schon. Was quält dich?«
Wir fuhren in den kurzen Tunnel und kamen bei Kongsgård auf die Ebene hinaus, die in das scharfe Winterlicht getaucht fast schön aussah.
»Ich habe vorhin mit Linda gesprochen«, sagte ich. »Sie hatte einen schwierigen Morgen, na ja, du weißt schon. Wutanfälle und Chaos. Außerdem hat Vanja gesagt, dass wir immer nur wütend sind. Und damit hat sie verdammt Recht. Wenn ich wegfahre, fällt es mir sofort auf. Im Grunde habe ich nur noch Lust, zurückzufahren und das in Ordnung zu bringen. Das quält mich.«
»Das Übliche also«, meinte Geir.
»Ja.«
Wir kamen auf die E 18, hielten an der Mautstation, wo Geir das Fenster öffnete und Münzen in den grauen Metalltrichter warf, und fuhren an der Oddernes-Kirche und dahinter an der Kapelle vorbei, in der die Trauerfeier für Vater abgehalten worden war, und anschließend an der Kathedralschule Kristiansand, in die ich drei Jahre gegangen war.
»Das ist ein bedeutungsvoller Ort«, sagte ich. »Meine Großeltern liegen hier begraben. Und Vater…«
»Er steht hier irgendwo in einem Lager?«
»Richtig. Oh, dass wir das nicht auf die Reihe bekommen haben. He he he.«
»Wie man sich bettet, so liegt man. He he he!«
»Ha ha ha! Aber im Ernst, ich kümmere mich bald darum, ihn unter die Erde zu bringen. Das muss ich.«
»Zehn Jahre in einem Lagerraum haben noch keinem geschadet«, sagte Geier.
»Doch, das haben sie. Aber keinem, der verbrannt worden ist.«
»Ha ha ha!«
Es wurde still. Wir fuhren an der Feuerwache vorbei in den Tunnel.
»Wie war die Beerdigung gestern?«, sagte ich.
»Sie war schön«, antwortete er. »Es sind wirklich viele Leute gekommen. Die Kirche war voll. Jede Menge Verwandte und Freunde der Familie, die ich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte, ja, seit meiner Kindheit nicht mehr. Das Ganze war feierlich und schön. Vater und Odd Steinar haben geweint. Sie waren am Boden zerstört.«
»Und du?«, sagte ich.
Er sah mich kurz an.
»Ich habe nicht geweint«, antwortete er. »Vater und Odd Steinar haben sich gegenseitig in den Arm genommen. Ich habe alleine neben ihnen gesessen.«
»Quält dich das?«
»Nein, warum sollte es? Ich fühle, was ich fühle, sie fühlen, was sie fühlen.«
»Bieg hier links ab«, sagte ich.
»Links? Da vorn?«
»Ja.«
Wir gelangten in die Innenstadt, fuhren die Festningsgaten hinab.
»Jetzt kommt rechts gleich ein Parkhaus«, sagte ich. »Sollen wir da den Wagen abstellen?«
»Gute Idee.«
»Was meinst du, wie dein Vater darüber denkt?«, sagte ich.
»Dass ich nicht trauere?«
»Ja.«
»Er denkt nicht daran. ›So ist Geir‹, denkt er. Das hat er immer getan. Er hat mich immer hundertprozentig akzeptiert. Habe ich dir davon erzählt, wie es war, als er mich einmal von einer Fete abgeholt hat? Ich war sechzehn und musste mich übergeben, er hielt an, ich kotzte, er fuhr weiter, erwähnte es mit keinem Wort. Volles Vertrauen. Wenn ich also auf Mutters Beerdigung nicht weine oder nicht den Arm um ihn lege, hat das für ihn keine Bedeutung. Er fühlt, was er fühlt, und andere fühlen, was sie fühlen.«
»Er scheint ein feiner Mensch zu sein.«
Geir sah mich an.
»Ja, er ist ein feiner Mann. Und ein guter Vater. Aber jeder von uns beiden ist auf seinem eigenen Planeten. Meintest du hier? Da vorn?«
»Ja.«
Wir fuhren in die
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