Liebenswerte Langhälse - über den artgerechten Umgang mit Gänsen
werden.
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Am innigsten wird die „menschlich-gänsische“ Beziehung natürlich, wenn man seine zukünftigen Gänsefreunde schon als Gössel bekommt und selbst aufzieht. Das ist wunderschön, erfordert aber viel Zeit, weil junge Gänsekinder Zuwendung und Erziehung brauchen. Da die Prägung bei ihnen eine wichtige Rolle spielt, was bedeutet, dass sie zwar über einige natürliche Instinkte, jedoch über relativ wenige angeborene Verhaltensmuster verfügen, müssen Gänse sich viele Dinge erst aneignen. Gössel, die im Familienverband natürlich aufwachsen, lernen dort alles Wichtige. Hier werden sie auch gut sozialisiert und bekommen die für sie wichtige Zuwendung und Nestwärme. In der künstlichen Aufzucht übernimmt der Mensch die Elternrolle und somit die Verantwortung für eine artgerechte Entwicklung seiner Gänse. Hier gilt es, die richtigen Weichen zu stellen, damit es bei den Tieren nicht zu einem späteren Fehlverhalten kommt.
So kann „menschlich-gänsische“ Freundschaft aussehen. (Foto: Agnes Meyer-Brandis)
Gänse haben von Natur aus einen starken Bindungstrieb, sie brauchen unbedingt Gesellschaft und müssen mit Artgenossen aufwachsen. Nur so lernen sie, dass sie Gänse sind und keine Menschen. Dieser Grundgedanke muss bei der Betreuung der Gänsekids immer im Vordergrund stehen. Auch wenn sie noch so süß sind, sollte man seine Tiere nicht zu stark auf sich prägen. Man tut ihnen und sich damit keinen Gefallen. Solche fehlgeprägten Gänsekinder wünschen sich ständig die Nähe ihrer menschlichen „Mutter“ und möchten um keinen Preis allein im Stall bleiben, denn Gänse fürchten nichts so sehr wie Einsamkeit. Zudem können sie später nichts mit ihren Artgenossen anfangen und ignorieren diese. Nicht selten sind Paarungsprobleme, Aggressionen, Federfressen oder ein übersteigertes Dominanzverhalten auf menschliche Fehler während der Aufzucht zurückzuführen.
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In der Regel geben Rassegeflügelzüchter junge Gössel sowieso ungern ab, denn sie möchten ihre Gänse später auf Rassegeflügelausstellungen präsentieren. Da nicht von Anfang an zu erkennen ist, aus welchem Gänschen ein Ausstellungstier wird, bleiben zuerst einmal alle Gössel im heimischen Stall. Nur aus der Masse kommt die Klasse. Jungtiere vom Rassegeflügelzüchter bekommt man deshalb meist erst im Herbst. Das Warten lohnt sich jedoch, denn diese halbstarken Junggänse sind den Umgang mit Menschen gewohnt und schließen sich nach einer kurzen Eingewöhnungsphase ihren späteren Besitzern problemlos an.
Dafür ist es aber zunächst wichtig, das Vertrauen der Tiere zu gewinnen. Wer seine Gänse so respektiert und akzeptiert, wie Mutter Natur sie programmiert hat, ohne Wenn und Aber, der hat dafür bereits einen wichtigen Grundstein gelegt. Ihm gegenüber werden sich diese stolzen, aber auch sensiblen Vögel öffnen und sich ihm treu anschließen. Das dauert allerdings eine Weile, weshalb man viel Zeit, jede Menge Herzblut und eine Engelsgeduld in diese neue Freundschaft investieren sollte. Wenn Mensch und Vogel in langsamen Schritten aufeinander zugehen, lernen beide unglaublich viel voneinander und werden zu einer vertrauten Einheit.
Wie Gänse ticken
Gänse haben fest eingeprägte Verhaltensmuster, die ihr Handeln aus unserer Sicht oft als stur oder dumm erscheinen lassen. Sie sind einfach gestrickt und denken nicht in komplexen Zusammenhängen, sondern vielmehr in Bildern. Die heimische Umgebung sowie alles, was dazugehört, ist detailgenau in ihrem Kopf gespeichert. Sie halten sklavisch an diesen eingeprägten Bildern fest, und solange sich in ihrem Umfeld nichts ändert, ist ihre Gänsewelt in Ordnung. Die Scheu vor neuen Dingen, zum Beispiel, wenn auf dem gewohnten Weg zur Weide ein Eimer steht, der sonst nicht da ist, kann dem Betreuer das Leben für einen Moment schwer machen. Denn eines ist gewiss: Sie bringen eher einem Elefanten bei, auf drei Beinen zu stehen, als dass Sie Ihre Gänse dazu bewegen werden, dort vorbeizulaufen. Meist machen sie auf der Stelle kehrt und laufen schnellen Schrittes Richtung Stall zurück. Ich habe bezüglich der bildlichen Denkweise von Gänsen schon viele Experimente gemacht. Interessant hierbei war für mich, dass die Gänse sich nicht nur meine Person, sondern auch meine Kleidung genau eingeprägt haben. Ich trage bei den Tieren immer mein robustes olivgrünes Stalloutfit. Erscheine ich so, ist alles vertraut und harmonisch. Ändere ich aber mein Äußeres auffällig,
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