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Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Titel: Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergio Bambaren
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verloren gefühlt habe, dann weil ich dieser Minderheit angehöre, die glaubt, die wahren Schätze des Lebens sind die einfachen Dinge. Ich hatte wirklich keinen Spaß daran, ein großes Auto zu fahren, eine teure Armbanduhr zu tragen oder erster Klasse zu fliegen. Nein. Aber die Gesellschaft hat mich so lange bearbeitet, bis ich mitgemacht habe. Und wie einsam war ich doch, Daniel, unter all diesen Fremden, die eine so andere Sicht der Welt haben als ich! Kolibris beobachten, die Sonne am Horizont versinken sehen, mit Delfinen in den Wellen spielen – das hat mich glücklich gemacht.
    Ich werde nie das Gespräch vergessen, das ich später mit einem Freund beim Mittagessen in einem kleinen italienischen Lokal geführt habe:
    »Du und deine Delfine!«, sagte er immer. »Du und dein Wellenreiten! Wann wirst du endlich erwachsen? Was hast du denn im Leben vor?«, fragte er.
    Die Antwort kam zum ersten Mal, nach all den Jahren, wieder aus meinem tiefsten Herzen:
    »Ich weiß noch nicht, was ich mit meinem Leben anfangen will, aber dafür weiß ich ganz genau, was ich nicht will.«
    Lebe Dein Leben immer so, wie Du es willst, Daniel. Genau das wird es zu etwas absolut Einzigartigem machen.
    Das sagt Dir Dein Vater, der einmal einen großen Fehler begangen hat und ihn korrigieren konnte.
    Und apropos Alkohol: Der Whisky, den ich damals in Singapur im Business Center des Hotels getrunken habe, war der letzte Drink in meinem Leben.

XIV
    Ich blieb noch zwei Tage in Singapur. Zum Glück war Richard dabei.
    Nachdem er die Neuigkeit von mir gehört hatte, war er schockiert.
    »Was hast du getan?«, fragte er.
    »Das hätte ich schon längst tun sollen!«, gab ich zurück. »Was hat es für einen Sinn, so zu leben, wie andere es von mir erwarten, wenn es mir dabei aber nicht gut geht? Meine Vorstellung von Glück hat nichts mit diesem Leben hier zu tun.«
    »Warum hast du den Job dann überhaupt erst angenommen?«
    »Das frage ich mich auch. Vielleicht weil man mir immer eingeredet hat, dass beruflicher Erfolg zu Wohlstand führen und Geld gegen jeden Schmerz, den man im Leben verspüren kann, immun machen würde. Vielleicht war ich auch nur habgierig. Ich weiß es einfach nicht.«
    »Und was hast du jetzt vor?«
    »Ich fliege nach Australien zurück, stelle mich dem Druck und dem Gerede der Kollegen und lebe mein Leben so, wie ich es will. Vielleicht nehme ich mir ein Jahr Auszeit, um mich selbst wiederzufinden.«
     
    Nach meiner Rückkehr nach Sydney ging ich sofort ins Büro. Dort sah ich nur sehr wenige lächelnde Gesichter. Die Kollegen sagten, ich solle dringend in London anrufen und mit dem Geschäftsführer sprechen.
    »Hallo Bill, hier ist Sergio.«
    »Hallo Sergio …«
    Es folgte ein langes Schweigen am anderen Ende der Leitung.
    Dann: »Bist du dir auch ganz sicher, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast?«, fragte Bill.
    »Ja.«
    »Du bereust es nicht?«
    »Ich hoffe nicht. Man lebt doch nur einmal, Bill, und ich möchte die Chance nutzen und in Zukunft meiner inneren Stimme folgen. Und wenn’s schiefgeht, ist das allein mein Problem. Es ist schließlich mein Leben.«
    Bill lachte.
    »Was ist so lustig?«, fragte ich.
    »Ich habe immer gewusst, dass das früher oder später passieren könnte. Ich selbst hätte auch schon einmal fast dasselbe getan wie du jetzt. Ich habe nur einfach nicht daran geglaubt, dass du den Mut dazu hättest. Ich bewundere dich, Sergio. Ich kenne viele Leute, die in einem Leben gefangen sind, das sie hassen. Dennoch machen sie weiter, weil sie Angst vor einer Veränderung haben, Angst, ihren Kokon zu verlassen.«
    »Danke, Bill!«
    »Nichts zu danken, Sergio. Die Zusammenarbeit mit dir war prima, und du hast viele Aktionäre sehr glücklich gemacht. Du hast Großartiges für die Firma geleistet, und dafür danken wir dir. Also lebe dein Leben jetzt nach deiner Fasson. Ich wünsche dir, dass du findest, wonach du suchst. Unsere Türen werden dir immer offen stehen, falls du es dir doch noch anders überlegen solltest.«
    »Danke, Bill.«
    »Ich wünsche dir ein glückliches, erfülltes Leben, Sergio. Leb wohl!«
     
    Ich brauchte eine Woche, um den ganzen Papierkram zu erledigen, der noch ausstand. Obwohl die meisten Kollegen mich für verrückt hielten, organisierten sie eine Abschiedsparty für mich und wünschten mir alles Gute. Ich gab meinen Lexus und die Schlüssel meiner schönen Villa zurück und zog in den Süden der Stadt in eine kleine Wohnung am Meer, die ich für

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