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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Rosa
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PROLOG
    Die große
Verschleierung
     
     
     
     
     
     
     
    Es ist
mit Abstand die größte Verschleierung der Geschichte. Es hat jahrhundertelang
gehalten und zuerst Tausende, dann Millionen von Menschenleben gekostet. Obwohl
es sehr gut zu sehen ist, scheint niemand es bemerkt zu haben. Ohne es zu
wissen, haben viele Künstler dazu beigetragen — große und weniger große. Und
die Verschleierung ist nichts Alarmierenderes als ein kleines Stück Stoff — das
Tuch, das die Lenden Jesu am Kreuz bedeckte.
    Am Anfang wurde das Kreuz in
Kunst oder Skulptur niemals dargestellt. Zwar wurde Jesus für seine
Selbstentäußerung angebetet, und das Kreuz war das Zentrum des Glaubens, doch
wagte ihn niemand in seiner äußersten Demütigung darzustellen.
    Es heißt, Konstantins Armeen
hätten das Kreuz auf ihren Feldzeichen getragen. Dies war nicht der Fall. Auf
Schild und Standarte hatten sie die ersten beiden Buchstaben des griechischen
Namens (Christos), verschmolzen zu (X°). Erst als die Erinnerung an die
Tausende, die im ganzen Römischen Reich an Kreuzen gestorben waren, verblaßte,
wagten die Christen, das Kreuz als Symbol für Christi leidende Liebe
darzustellen. Es war ein leeres Kreuz. Wer wollte es wagen, Christus noch
einmal zu kreuzigen?
    Später schien dieses nackte
Symbol für die Überwindung der dunklen Mächte zu karg. Im fünften Jahrhundert
begannen Künstler, ein Kreuz und daneben ein Lamm zu malen, denn Jesus war »das
Lamm Gottes«, geschlachtet für die Sünden der Welt. Dann wurde man mutiger und
bildete einen lammweißen Jesus selbst neben dem Kreuz ab. Abgesehen von nur
zwei bekannten Ausnahmen, wurde er erst ab dem Ende des sechsten Jahrhunderts
am Kreuz gezeigt. Auch dann wagte der Künstler es nicht, Schmerz und Demütigung
mitzumalen. Jesus trug eine lange Tunika; nur Hände und Füße waren bloß, um in
stilisierter Weise die Nägel zu zeigen, die ihn ans Holz hefteten. Dies war ein
Bild des Triumphes; er litt nicht, starb nicht, sondern thronte am Kreuz, mit
offenen Augen und manchmal gekrönt. Die erste griechische Darstellung von
Jesus, der am Kreuz litt, wurde von Rom als Gotteslästerung verurteilt. Bald
erlag die Kirche Roms selbst dieser Faszination.
    Jesus wurde immer jenseitiger,
die mittelalterliche Theologie immer trockener und scholastischer, und so
verlangte die Frömmigkeit nach einem menschlicheren Christus: einem Menschen,
den man sehen und fast fühlen konnte, einem Menschen mit den Versuchungen und
Kümmernissen, die man selbst an jedem Tag des eigenen kurzen, leiderfüllten
Lebens zu bestehen hatte. Die Künstler stellten Christus nun frei im Todeskampf
am Kreuz dar; tiefe Wunden und Blut, Qual an jedem Glied, Verlassenheit in den
Augen. Seine Bekleidung wurde reduziert, um den Gläubigen das Ausmaß der
Erniedrigung des Herrn nahezubringen.
    Da endete es: bei einem
Lendentuch. Wäre der Künstler weitergegangen, wer hätte den Mut gehabt,
Christus anzusehen, wie er war—nackt wie ein Sklave?
    Was die Hand des Künstlers
zurückhielt, war nicht Wohlanständigkeit, sondern Theologie. Die Künstler
hatten nicht die Schuld. Wie sollten sie schließlich erkennen, daß der Schmerz
des wiedergekreuzigten Christus ohne die letzte Wahrheit, die nur völlige
Nacktheit bringt, zu einer Katastrophe führen würde? Dieses Lendentuch gab
Jesus den letzten Fetzen Anstand, doch es nahm ihm seine jüdische Identität. Es
bedeckte buchstäblich seinen Stolz und machte ihn zum Nichtjuden ehrenhalber.
Denn was es verbarg, war nicht nur sein Geschlecht, sondern jene Spur des
Messers an seinem Fleisch, die Beschneidung, die zeigte, daß er Jude war. Das
war es, was die Christen zu sehen fürchteten.
    Auf Kreuzigungsbildern von
Raffael und Rubens, selbst von Bosch und Grünewald wird das Lendentuch zur
Verzierung; seine Falten hängen schicklich herab. Auf Grünewalds Kreuzigung in
Colmar ist Jesus gespannt wie ein Bogen, sagt Husmans; der gemarterte Leib
glänzt bleich, blutbefleckt, vor Dornen starrend wie die Schale einer Roßkastanie.
Der Künstler scheint zu sagen: Dies hat die Sünde — wem angetan?
    Gott angetan, ist die Antwort
der Theologie. Dies ist der Tod Gottes. Je intensiver die Qual, je weniger
Seine Herrlichkeit hindurchscheint, um so schreckenerregender ist es. »Gott
starb auf Golgotha.« Es klingt wie gute Theologie. Das hätte es auch sein
können, wäre da nicht jenes Stück Stoff gewesen. Denn, so scheint der Künstler
zu sagen, irgend jemand ist verantwortlich dafür,

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