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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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gelaunt wurde.
    Worte können Dir nicht sagen, wie monoton niederdrückend das tägliche Einerlei des Anstaltslebens sich auswirkt. Der einzige Lichtblick in der hoffnungslos langweiligen Sache ist der Umstand, daß Betsy Kindred vier Tage der Woche mit uns verbringt. Betsy und ich waren zusammen im College, und zuweilen entdecken wir etwas Komisches, worüber wir lachen können.
    Gestern tranken wir Tee in meinem scheußlichen Salon, als wir plötzlich beschlossen, uns gegen so viel unnötige Häßlichkeit aufzulehnen. Wir holten sechs kräftige und zerstörfreudige Waisen, eine Leiter und einen Eimer heißes Wasser, und in zwei Stunden hatten wir jede Spur der Tapete von den Wänden herunter. Du kannst Dir nicht vorstellen, was es für eine Lust ist, Tapeten von den Wänden zu reißen.
    Zwei Tapezierer sind nun am Werk, das Beste, was das Dorf bietet, anzukleben, während ein deutscher Polstermacher auf den Knien die Stühle abmißt, um Chintz-Überzüge anzufertigen, die jeden Zentimeter des Plüschbezuges verdecken sollen.
    Bitte werde nicht nervös. Das bedeutet nicht, daß ich vorhabe, den Rest meines Lebens in der Anstalt zu verbringen. Es bedeutet nur, daß ich für meine Nachfolgerin einen erfreulichen Empfang vorbereite. Ich habe nicht gewagt, Judy mitzuteilen, wie trostlos ich es hier finde, denn ich will Florida nicht bewölken.
    Aber wenn sie nach New York heimkehrt, wird die offizielle Mitteilung meines Rücktritts im Vorplatz auf sie warten.
    Ich wollte Dir als dankbare Gegenleistung für sieben Seiten einen längeren Brief schreiben, aber zwei meiner kleinen Lieben hauen sich unter meinem Fenster. Ich stürze davon, um sie zu trennen.
    Immer Deine
    S. McB.

John-Grier-Heim,
    8. März
    Meine liebe Judy!
    ich selbst habe meinerseits dem John-Grier-Heim auch eine kleine Gabe gemacht — die Neueinrichtung des privaten Salons des Vorstandes. Schon in der ersten Nacht hier erkannte ich, daß weder ich noch eine Nachfolgerin in Mrs. Lippetts knalligem Plüsch je glücklich sein könnte. Du siehst, ich habe vor, meine Nachfolgerin zufriedenzustellen, damit sie bereit sein wird, dazubleiben.
    Betsy Kindred hat bei der Rehabilitierung von Mrs. Lippetts Schreckenskammer geholfen, und zusammen haben wir eine Symphonie aus mattem Blau und Gold geschaffen. Es ist wirklich eins der hübschesten Zimmer, das Du je gesehen hast; der Anblick wird eine künstlerische Erziehung für jedes Waisenkind sein. Neue Tapeten an der Wand, neue Teppiche auf dem Boden (meine eigenen kostbaren Perser, die von einer jammernden Familie in Worcester expreß geschickt worden waren). Neue Vorhänge an meinen drei Fenstern, welche eine weite und köstliche Landschaft sehen lassen, die bisher durch Nottinghamer Spitze versteckt war. Ein neuer großer Tisch, einige Lampen und Bücher, ein paar Bilder und ein echtes Feuer im offenen Kamin. Sie hatten den Kamin versperrt, weil Luft hereinkam.
    Ich hatte noch nie erfaßt, was für einen Einfluß eine künstlerische Umgebung auf den Frieden einer Seele ausmacht. Gestern nacht saß ich da und betrachtete die Lichter, die mein Feuer auf mein neu erstandenes antikes Kamingitter warf und schnurrte vor Glück. Und ich versichere Dir, es war das erste Schnurren, das diese Katze von sich gab, seit sie durch die Tore des John-Grier-Heims hereinkam.
    Aber die neue Einrichtung im Salon der Vorsteherin ist das geringste unserer Bedürfnisse. Die Schlafzimmer und Tagesräume der Kinder erfordern so viel grundlegende Aufmerksamkeit, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Das dunkle Spielzimmer nach Norden ist eine Schande, obschon es nicht schlimmer ist als unser scheußliches Eßzimmer oder unsere ungelüfteten Schlafsäle und die Waschräume ohne Wannen.
    Wenn die Anstalt sehr spart, meinst Du, sie könnte sich jemals leisten, diesen übelriechenden alten Original-Bau niederzubrennen und statt dessen einige hübsche, ventilierte, moderne Einzelhäuser aufzustellen? Ich kann nicht an die wunderbare Anstalt in Hastings denken, ohne daß mich der Neid überkommt. Es würde Spaß machen, ein Heim zu leiten, wenn eine solche Anlage einem zur Verfügung stünde. Aber wenn Du wieder in New York bist und bereit, den Architekten über einen Umbau zu befragen, wende Dich bitte auf alle Fälle um Vorschläge an mich. Neben anderen kleinen Einzelheiten hätte ich gerne 70 Meter lange Balkons zum Schlafen, die außen an den Schlafsälen entlanggeführt werden sollen.
    Du mußt wissen, daß nach dem Ergebnis

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