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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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McB.

John-Grier-Heim,
    Freitag.
    Meine liebste Judy!
    Du solltest sehen, was Deine hundert Dollar und Betsy Kindred mit dem Eßzimmer angefangen haben.
    Es ist ein blendender Traum in gelber Farbe. Da es ein Nordzimmer ist, wollte sie es auf hellen; und das hat sie getan. Die Wände sind mit Leimfarbe ockergelb gestrichen, mit einem Fries kleiner wolliger Osterhasen, die oben herumspringen. Alles, was aus Holz ist — Tische und Bänke eingeschlossen —, ist ein fröhliches Chromgelb. An Stelle von Tischtüchern, die wir uns nicht leisten können, haben wir Leinen-Läufer mit bedruckten Häschen. Außerdem gelbe Schalen, die zur Zeit mit Kätzchen gefüllt sind, sich aber schon auf Narzissen, Schlüsselblumen und Butterblumen freuen. Und neues Geschirr, meine Liebe, — weiß mit gelben Osterglocken (wie wir vermuten);

    es können aber auch Rosen sein; wir haben keinen Botaniker im Haus. Und als Glanzpunkt: wir haben Servietten, die ersten, die wir in unserem Leben zu sehen bekamen. Die Kinder meinten, es seien Taschentücher und schneuzten sich mit Begeisterung hinein. Zu Ehren der Eröffnung des neuen Zimmers gab es Eis und Kuchen als Nachtisch. Es ist eine solche Freude, diese Kinder nicht nur verschüchtert und apathisch zu sehen, daß ich Preise für Übermut austeile, — — an alle außer Sadie Kate. Sie trommelte mit Messer und Gabel auf dem Tisch und sang: „Willkommen in den goldenen Hallen.“ Du erinnerst Dich an jenen erleuchteten Text über der Eßzimmertür: „Der Herr wird sorgen.“ -Wir haben ihn übertüncht und an die Stelle Hasen gemalt. Es mag ja angebracht sein, normalen Kindern, die eine eigene Familie und ein Dach über dem Kopf haben, einen so leichten Glauben zu lehren; aber ein Mensch, dessen einzige Zuflucht in der Not eine Parkbank sein wird, muß einen mehr kämpferischen Glauben lernen.
    „Der Herr hat dir zwei Hände und ein Hirn und eine weite Welt gegeben, sie zu benutzen. Verwende sie richtig, und es wird für dich gesorgt sein; verwende sie falsch, und du wirst Not leiden“, ist unser Leitspruch, und auch der nur mit Vorbehalten.
    In dem Auswahlprozeß, der im Gang ist, bin ich elf Kinder losgeworden. Die gelobte Staatliche Wohlfahrts-Gesellschaft hat mir geholfen, drei kleine Mädchen unterzubringen, alle in sehr netten Häusern, eines soll gesetzlich adoptiert werden, wenn sie es mögen. Und die Familie wird sie mögen. Dafür habe ich gesorgt. Sie war das Musterkind der Anstalt, gehorsam und höflich, mit lockigem Haar und liebevollem Wesen, genau das kleine Mädchen, das jede Familie braucht. Wenn ein Paar adoptierender Eltern sich eine Tochter aussucht, stehe ich daneben, das Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich habe das Gefühl, als schaute ich in die undurchsichtigen Pläne des Schicksals. Was für Winzigkeiten den Ausschlag geben! Das Kind lächelt — — und hat auf ewig ein liebendes Heim; es niest — — und ist auf immer übergangen.
    Drei unserer größten Buben sind zur Arbeit auf Farmen gegangen, einer nach Westen auf eine RANCH! Das Gerücht behauptet, daß er ein Cowboy, ein Bekämpfer der Indianer und ein Jäger von Grizzlybären wird, aber ich glaube, in Wirklichkeit soll er der ländlichen Tätigkeit, Weizen zu ernten, nachgehen. Er marschierte als romantischer Held ab; die sehnsüchtigen Blicke von fünfundzwanzig abenteuerlustigen Buben folgten ihm, die nur mit einem Seufzer in das eintönig sichere Leben des J. G. H. zurückkehrten.
    Fünf weitere Kinder sind in die entsprechenden Anstalten geschickt worden. Eins ist taub, eins ein Epileptiker, und drei sind Trottel. Keines hätte je hier aufgenommen werden dürfen. Dieses hier ist eine Erziehungsanstalt, und wir können unsere wertvolle Anlage nicht an die Sorge für anomale Kinder verschwenden.
    Waisenhäuser sind altmodisch. Was ich anstrebe, ist ein Internat für die körperliche, moralische und geistige Entwicklung von Kindern, deren Eltern nicht in der Lage waren, für sie zu sorgen. „Waisen“ ist nur mein Sammelbegriff für die Kinder. Viele sind gar keine Waisen. Sie haben schwierige und zähe Eltern, die keinen Verzicht unterschreiben wollen, so daß ich sie nicht für die Adoptierung vorsehen kann. Aber diejenigen, die verfügbar sind, würden in einem liebevollen Pflegeheim viel besser dran sein als in der besten Anstalt, die ich je fertigbringen könnte. Also bilde ich sie so schnell wie möglich zum Adoptiertwerden aus, und suche nach den Familien.

    Du solltest eigentlich auf

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