Liebesdienst
nicht zu mir zurück. Ich saà mit mir da. Wie Marius, glaubte ich, mit seiner Vier-Uhr-Manie dasaÃ, und ich, glaubte Marisa, mit meiner Vorstellung von Marius. Das war nicht der Fall, aber ich konnte nachvollziehen, dass es so wirken musste. Ich saà bloà mit mir da, und dieses Wesen brauchte einen Marius, das war nicht dasselbe.
Wie gerne hätte ich ihr zugerufen: »Ich werde mich ändern, Marisa«, und hätte es auch ernst gemeint. Aber ein Perverser, der seinen Ruf wert ist, weiÃ, dass genau darin seine Perversion liegt â nicht darin, dass er minderjährigen Schülerinnen hinterherrennt oder andere Männer auffordert, Geschlechtsverkehr mit seiner Frau zu haben und ihr Kinder zu machen, vorzugsweise schwarze, sondern in seiner Unveränderlichkeit. Nicht in der Bedrohung, die seine Obsession darstellt, sondern in ihrer Monotonie.
»Da kann ich gleich zum Eremiten werden, Marisa«, sagte ich. »Wenn ich dich schon nicht sehen darf. Oder wenigstens weiÃ, ab wann ich mich freuen kann, dich wiederzusehen.«
»Du hättest sowieso keine Freude an mir. Du würdest damit nicht fertigwerden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie du als Eremit zurechtkommen willst. Dafür redest du viel zu gerne.«
»Dann ruf mich an und sprich mit mir.«
»Nein, Felix. Du musst versuchen, ohne mich auszukommen. Du wirst scheitern, aber du musst es wenigstens versuchen.«
»Dann werde ich dir beweisen, dass du dich irrst«, sagte ich.
Und das tat ich. Ich schloss mich ein und wechselte mit niemandem ein Wort.
*
Dulcie ausgenommen. Ein paar Mal die Woche kam sie mit der Post zu mir nach Hause.
»Ich mache mir Sorgen«, sagte sie.
»Um das Geschäft oder um mich?«
»Beides. Aber hauptsächlich um Sie.«
»Nicht nötig. Ich sitze meine Strafe ab.«
»Bis wann?«
»Fragen Sie mich nicht.«
Sie lud mich zum Abendessen ein, aber ich schlug die Einladung aus. »Ich will nicht reden müssen«, sagte ich.
Nur einmal ging ich auf einen ihrer Vorschläge ein. Eine Schubert-Matinee mit anschlieÃendem Sherryempfang in der Wigmore Hall. Keine Lieder. Das hätte ich an einem öffentlichen Ort nicht riskiert. Nur wortlose Kammermusik. Sie hatte eine Karte für mich. »Gehen Sie auch hin?«, fragte ich sie. Ja. »Dann sprechen Sie mich nicht an, wenn Sie mich sehen. Ich habe aufgehört, mich mit Menschen zu unterhalten.«
Ich hörte auch keine Musik mehr. Las nicht mehr. Kunst ist gut, um ein hartes Herz zu erweichen. Aber wenn man schon zu Brei geworden ist, hilft auch keine Kunst mehr. Man braucht Stille. Eine wortlose Dunkelheit â¦
Es war also nicht gerade klug, das Risiko einzugehen, mir Schuberts Streichquintett in C-Dur anzuhören, auch wenn es wortlos war. Für einen so geschwächten Menschen wie mich war jedes Cello zu viel. Ich vergrub das Gesicht in den Händen und weinte durch alle Sätze hindurch. Mir fiel ein, dass Dulcie in ebendiesem Raum schon Marius und Marisa gemeinsam hatte weinen sehen. Bei dem Gedanken musste ich noch mehr weinen. Ich weinte aus Eifersucht, weil die Vorstellung, dass die eigene Frau um einen anderen Mann weint, unerträglich ist, viel unerträglicher als die Vorstellung, er würde sich an jeder einzelnen Pore ihres schönen Körpers erfreuen. Aber noch mehr weinte ich aus ganz normaler Trauer. Der Trauer, die bleibt, wenn die Eifersucht keine Nahrung mehr bekommt.
Ich hatte nicht die Absicht, noch auf den anschlieÃenden Sherryempfang zu gehen. Auf dem Weg nach drauÃen erblickte ich Dulcie, Lionel und, wie ich vermutete, den Elektriker, die für ihren Sherry anstanden. Gut möglich, dass ich sie nicht gesehen hätte, wenn sie nicht etwas ausgestrahlt hätten, das mir nur zu bekannt war. Euphorie â wenn das Kind einen Namen haben soll.
Jeder andere, der die drei beobachtet hätte, hätte gesagt, der Elektriker sei der Ehemann und Lionel der Freund, aber ich wusste, worauf ich achten musste. Kein »Freund« würde ständig so um die beiden herumkreisen wie Lionel. Kein Freund würde so aufmerksam die Blicke verfolgen, die das verheiratete Paar wechselte, den geringsten Körperkontakt zwischen den beiden registrieren, kein Freund könnte die Temperatur des Luftstroms bemessen, der zwischen den Gesichtern der beiden hin und her floss. Lionel hielt sich zurück und beobachtete, und ich hielt mich zurück und
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