Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
PROLOG
Die Luft vibrierte, wie der schnelle Flügelschlag eines Kolibris, spaltete sich in eine Anzahl unzählbarer Partikel und öffnete ein Portal, das von der ihm vertrauten in die andere, fremde Welt führte.
Kaum angekommen, musste er einige ausgiebige Atemzüge nehmen und seinen Stand auf beide Beine verlagern, da schwüle Luft in seine Lungen und Hitze gegen seinen Körper presste, die ihn einem Schraubstock gleich einengten. Er legte den Kopf in den Nacken, sah mit zusammengekniffenen Augen nach oben und fand sich unter einem hellblauen mit weißen Wolken gespickten Himmel wieder, dessen Sonnenrund heiß verzehrendes und vor allem blendendes Licht auf ihn hinabströmen ließ. Ähnlich seiner bisherigen Besuche überwältigte ihn auch diesmal ein übermächtiges Gefühl des Aufatmens und ein intensives Gefühl der Beklemmung. Zwar wusste er, dass seine Welt einst ihren Ursprung hier genommen hatte, doch waren Mutter und Kind so unterschiedlich, wie es nur möglich war. Es war ganz so, als ob der Sprössling um jeden Preis seine Herkunft verleugnen oder verschleiern wollte. Alles, um nur nicht nach der Mutter zu geraten. Als er vor einiger Zeit das erste Mal Menschenboden betreten hatte, war die fremdartige Umgebung wie ein Schlag in die Magengrube gewesen. Alles in ihm, von der Haut hin zu den Eingeweiden und noch tiefer, hatte sich angespannt und unwohl zusammengezogen, als ob es sich verschließen und in Sicherheit bringen wollte. Inzwischen war es glücklicherweise nicht mehr ganz so schlimm. Sein Körper schien sich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen und anzupassen. Der Auslöser all dieser unwohlen Empfindungen, der entscheidende Unterschied zu der ihm vertrauten Welt, war jedoch nicht einzig im Blau des Himmels, der Intensität der Sonne, der warmen Luft oder dem saftigen Grün der Pflanzen auszumachen. Es war weit mehr als das. Eine allgegenwärtige Energie. Etwas, das von überall ausströmte. Eine Präsenz, die hier in allem verankert und verwurzelt schien. Genau jene seltsame und undefinierbare Energiepräsenz war es, die ihn anzog als auch abstieß. Ihn verlockte näher zu kommen und zeitgleich mit Furcht und Abscheu erfüllte.
Er senkte den von der Sonne tränenden Blick, lief den Weg entlang, an dem er den Erdengrund das letzte Mal verlassen hatte und setzte seine Erkundungstour fort. Kaum dass er einige Meter gegangen war, erfasste er sie.
Ein brünetthaariges Mädchen, nicht älter als elf, lief mit großen und stolpernden Schritten den Gehsteig entlang. Mehrmals fuhr sie sich fahrig mit dem Handrücken über Augen und Wangen, um Tränen fortzuwischen, die ihr übers Gesicht laufen wollten. Ein paar Meter hinter ihr folgten drei weitere Mädchen. Älter, etwa um die dreizehn.
Er entschied sich nicht bewusst dazu. Seine Beine trugen ihn von ganz allein den Mädchen hinterher.
Ihr
hinterher.
Sie verließ den Gehsteig und lief quer über die große, von der Sonne leicht braun angesengte, Rasenfläche des Spielplatzes. Ihre Verfolgerinnen schlossen rasch und zielstrebig zu ihr auf und umstellten sie schließlich zwischen Rutsche und Schaukel. Das Mädchen versuchte aus dem Kreis auszubrechen, wurde jedoch von groben Händen hin und hergeschubst und so am Entkommen gehindert. In Hoffnung auf Hilfe, warf sie verzweifelte Blicke durch die Lücken ihrer Peinigerinnen. Doch ihre Augen fanden niemanden.
Als er die Straße überquerte, auf die Rasenfläche lief und ein „Hey“ durch die Luft schallen ließ, war es abermals keine bewusste Entscheidung, sondern mehr ein Bedürfnis, das er nicht ignorieren konnte.
Alle vier wandten sich zu ihm um. Ohne Frage war es seine andersartige Aura, die die Mädchen interessiert, als auch abschätzend zu ihm starren ließ. Einige Momente lang blieb dieser zwiespältige und überraschte Blick der älteren Mädchen auf ihm ruhen, ehe sich die mit dem blonden Zopf fasste und gebieterisch das Wort ergriff: „Wer bist du? Und was willst du?“ In ihrer Stimme schwang hörbar Erschrockenheit über sein plötzliches Auftauchen, als auch eine Spur Neugierde mit.
Er tat einige weitere Schritte bis knapp vor die Mädchen, ließ den Blick abschätzend über ihre Gesichter gleiten, bis er schließlich wie gebannt auf dem Mädchen in ihrer Mitte hängen blieb. Er konnte nicht sagen, was es war, das ihn derart faszinierte. Doch etwas an ihr, war schlichtweg einzigartig und berührte ihn auf eine eindringliche Art und
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