Liebeskind
jüngsten Entscheidungen des amtierenden Innensenators zu tun haben.“
„Warum denn das? Wilhelm Karras hat der Polizei doch jegliche Unterstützung zugesagt. Und seit Poll nicht mehr da ist, weht hier doch auch schon wieder ein ganz anderer Wind“, meinte Weber ungläubig.
Wie unglaublich naiv ihr Kollege doch manchmal war, dachte Anna.
Schließlich hatte der große Erfolg der Poll-Partei vor ein paar Jahren nicht nur bei der Polizei tiefe Spuren hinterlassen. Die Tatsache, dass damals in der durch und durch sozialdemokratisch geprägten Hansestadt Hamburg eine rechtspopulistische Partei auf Anhieb nahezu zwanzig Prozent der Wählerstimmen erlangt hatte, war von vielen Menschen noch immer nicht vergessen. Außerdem hatte der amtierende Senat klammheimlich einige brutale Praktiken aus dieser für alle Demokraten dunklen Amtszeit des früheren Innensenators Hartmut Poll übernommen.
„Mag sein“, erwiderte Antonia Schenkenberg. „Trotzdem ist Herr Karras für den Einsatz von Brechmitteln beim Zugriff auf Drogendealer verantwortlich. Und dass neulich einer von ihnen bei dieser Tortur gestorben ist, hat den jetzigen Innensenator nicht von seinem Kurs abbringen können. Im Gegenteil, er hat die Weisung ausgegeben, mit aller Härte so weiterzumachen wie bisher. Daran hat sich Meyer wohl gestört, aber es soll auch noch andere Streitpunkte zwischen ihnen gegeben haben. Jedenfalls wird er jetzt in den vorzeitigen Ruhestand gehen.“
Hermann Meyer war ein Beamter vom alten Schlag, der nicht gerade dem Interessenverband kritischer Polizisten in der Stadt zuzurechnen gewesen war. Wenn daher nun sogar solch ein Mann die Segel strich, konnte das durchaus auch jede Menge neuen Ärgers für ihre Abteilung bedeuten.
„Danke für die Nachricht, Antonia“, Anna lächelte der Sekretärin zu, „wir sind in unserem Büro.“
Anna saß an ihrem Schreibtisch und grübelte noch immer über die Bedeutung von Hermann Meyers Rücktritt sowie die gerade vergangene Bürgerschaftswahl in Hamburg nach, die einen politischen Machtwechsel in der Stadt herbeigeführt hatte. Endlich wurde wieder auf einem demokratischen Fundament regiert, stellte Anna erleichtert fest. Mittlerweile weinte zum Glück auch kaum noch jemand dem früheren Innensenator Hartmut Poll eine Träne nach. Ziemlich schnell hatte sich gezeigt, wie wenig er von seinen vollmundigen Versprechungen umsetzen konnte. Dabei war Poll und seine nach ihm benannte Partei, die Poll-Partei, damals als großer Sieger aus den Bürgerschaftswahlen hervorgegangen. Hartmut Poll war mit dem Verkünden seiner diffusen Strategien zur Verminderung der Kriminalität und für den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt sehr erfolgreich gewesen. Er war ein Mann der einfachen Wahrheiten und schien damit genau die Themen angesprochen zu haben, die vielen Menschen zu dieser Zeit unter den Nägeln gebrannt hatten. Nach damaliger Statistik hatte es in Hamburg die meisten Verbrechen bundesweit gegeben, aber selbst Poll war es nicht gelungen, daran etwas Wesentliches zu verändern. Anna erinnerte sich an die abenteuerlich zusammengewürfelte Mannschaft der Poll-Partei. Kaum einer ihrer Mandatsträger hatte sein politisches Handwerk wirklich gelernt, und doch waren sie für eine Weile bundesweit in den Schlagzeilen gewesen. Die jetzige Bürgerschaft rekrutierte sich dagegen zum großen Teil wieder aus der Riege erfahrener Berufspolitiker. Und doch bahnten sich erneut Veränderungen an, die nichts Gutes für Hamburgmit sich brachten, resümierte Anna Greve, längst nicht mehr so erleichtert wie noch eben zu Beginn ihres gedanklichen Ausflugs in die politische Vergangenheit Hamburgs.
Noch immer ein wenig geistesabwesend, starrte die Kommissarin kurz darauf in Lukas Webers grinsendes Gesicht.
„Hatten Sie einen schönen Ausflug? Sie haben gerade ausgesehen, als wären Sie in Gedanken ganz weit fort gewesen.“
Als er jetzt den Plastikbeutel mit dem Tascheninhalt des Toten auf seinem Schreibtisch auskippte, lächelte Weber noch immer. Bedächtig legte er die einzelnen Gegenstände in Reih und Glied nebeneinander und schien weiterhin sehr vergnügt zu sein. Normalerweise war ihr Kollege kein besonders fröhlicher Mensch. Anna musste auf der Stelle wissen, was dahintersteckte.
„Weber, was auch immer Sie genommen haben, geben Sie mir bitte etwas davon ab.“
Lukas Weber fuhr sich mit beiden Händen durch den neuen Haarschnitt und grinste wieder. Diesmal noch entschlossener. Und so breit, dass
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