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Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)

Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)

Titel: Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Schley
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vorher und deshalb viel zu früh alles bis in die kleinste Einzelheit zu planen.
    Dabei vergaß sie, Zeitverzögerungen, Verspätungen oder ein halbes Dutzend anderer unvorhergesehener Zwischenfälle zu berücksichtigen. Dass ein ICE eine Viertelstunde auf der Strecke Köln – Hamburg verlieren konnte, war in Jessicas Planung nicht vorgesehen. Sie kam auch nie auf den Gedanken, dass Flugzeuge wegen schlechten Wetters oder eines kurzfristig angekündigten Streiks des Bodenpersonals plötzlich umgeleitet werden und die Passagiere sich darauf einstellen mussten.
    Eventuelle Selbstmörder, die sich vor Schnellzüge warfen, um ihrem Leben so ein Ende zu machen, existierten für Jessica nur in amerikanischen Filmen, keinesfalls jedoch auf deutschen Bahnhöfen.
    Wenn sie dann im Hamburger Hauptbahnhof auf den Zug aus München warten musste, fing Jessica spätestens nach zehn Minuten an zu nörgeln. Julian war daran gewöhnt. Er erwartete nichts anderes von ihr, weil er schon längst nicht mehr an Wunder glaubte.
    Jessicas unaufhörlicher Redeschwall, der sich im Tonfall von klagend über vorwurfsvoll entwickelte, dann allerdings noch fortfuhr, sich zu steigern, bis sie sich irgendwann nur noch keifend anhörte. Egal, was sie auch immer sagte, es erreichte Julian nicht, weil er im Laufe der zwei Jahre, die er nun schon Tisch und Bett mit ihr teilte, die erstaunliche Fähigkeit entwickelt hatte, ihre Stimme und die Dinge, die sie mit dieser Stimme sagte, auszublenden.
    Während sie an diesem späten Nachmittag im März in den zugigen Hallen des Hauptbahnhofs hin und her, auf und ab und damit regelmäßig aneinander vorbei gingen, stellte Julian sich wieder einmal die Frage, wieso er immer noch mit Jessica zusammen war.
    Es gab zweifellos keinen einzigen vernünftigen Grund dafür, beantwortete er sich sogleich selbst seine Frage und war indes überzeugt, dass Jessica es genauso sah. Was sie verband, war weiter nichts als die sentimentale Erinnerung an eine jahrelange Schülerliebe, die zu beenden Julian nicht den Mut gehabt hatte, während Jess – wie er sie damals noch immer nannte – möglicherweise aus Furcht vor jenem neuen Leben nach dem Abitur darauf bestand, so weiter zu machen wie bisher.
    Und Julian war bedauerlicherweise zu schwach gewesen, das Ende seiner Beziehung zu Jessica zumindest einzuläuten.
    „… fünfundvierzig Minuten? Die spinnen ja wohl total! Was für ein verdammter Saftladen ist das eigentlich? Fünfundvierzig Minuten! Eine Dreiviertelstunde! Hast du das gehört, Jul? Eine Dreiviertelstunde Verspätung. Kriegen diese Analphabeten denn ihren Fahrplan nie in den Griff?“
    quengelte Jessica einmal mehr, als eine Lautsprecherstimme ein weiteres Mal die Nachricht von einer fünfundvierzigminütigen Verspätung verkündete.
    „Hast du gehört, Jul?“ vergewisserte Jessica sich, während sie an Julians Seite zurückkehrte, nachdem sie eine geraume Zeit auf dem Bahnsteig auf und ab gegangen war, wobei sie fast pausenlos wütende Selbstgespräche geführt hatte.
    „Ja, ich hab´s gehört, ich bin ja nicht taub“, sagte Julian und klopfte die Taschen seiner Jeans nach Zigaretten ab.
    Jessica hatte ihn inzwischen erreicht, blieb vor ihm stehen und stellte mit derselben Wut in der Stimme fest, mit der sie eben die Verspätung des Zuges beklagt hatte:
    „Du stinkst meilenweit nach Alkohol, Jul.“
    „Ich weiß. Ich hatte vorhin noch ein kleines Glas Rotwein zu meiner Pizza.“
    „Ein kleines Glas? Wenn das ein kleines Glas war, dann heiße ich ab sofort Florence Nightingale“, mokierte sie sich, doch ihre Stimme klang dabei gar nicht amüsiert. „Glaubst du, es wird deine Mutter freuen, wenn sie aus dem Zug steigt und das Erste, was ihr entgegen weht, ist der Gestank von billigem Fusel?“
    Julian sah sie schweigend an. Wenn sie erwartete, dass er sich – unmittelbar vor Verenas Ankunft aus München – zu einem Streit hinreißen ließ, dann irrte Jessica sich. Sie irrte sich ganz gewaltig, denn keiner konnte seine Mitmenschen so raffiniert gegen die Wand rennen lassen wie Julian.
    Darin besaß er Routine, er tat seit Jahren nichts anderes und hatte damit ebenso lange nicht nur seine eigenen Eltern, sondern auch Lehrer, Mitschüler, Freunde und Feinde gleichermaßen zur Verzweiflung getrieben.
    Jessica beging an diesem Nachmittag den schweren Irrtum, das zu ignorieren. Vielleicht hatte auch ganz einfach nur ihre Erinnerung sie im Stich gelassen, doch das würde sich schmerzhaft rächen, wenn es

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