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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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seine große, dicke Hand, wie eine Glocke über eine Goldwaage.
    So saß er, mit geradem Rücken, ohne Müdigkeit, die ganze Nacht, und starrte auf das dunkle Haus vor sich und auf den Laden mit den Teppichen. Marfa schlief ein, mit zurückgeworfenem Kopf, ihr Atem pfiff ein wenig, und Karpuschin sah sich um, lächelte sie an, dachte an übermorgen und an Moskau und an die kommende schöne Zeit in der Garnison, irgendwo im weiten Land, in der Ukraine, am Don, an der Wolga oder – wenn es sein mußte – auch am Ob.
    Gegen Morgen wachte Marfa auf und fror. Sie reckte sich, kroch aus dem stinkenden Sessel, schlug sich die Arme um den Körper und gähnte. Karpuschin sah sie fröhlich an.
    »Du piepst wie eine Maus«, sagte er lustig. »Wirklich, zum erstenmal hab' ich's gehört. Wie ein erschöpftes Mäuslein.« Er sah auf seine Uhr und wandte den Kopf wieder der Straße zu.
    »Noch eine halbe Stunde, Marfuschka.« Wie ein Jubelton klang's aus seiner Kehle. »Wenn der Arzt kommt und später der Totenwagen, kannst du gehen. Das genügt. Ich warte in der Botschaft.«
    »Ich habe alles genau behalten, Matweij Nikiforowitsch«, sagte Marfa und trat hinter Karpuschins Rücken.
    Die ersten Sonnenstrahlen glitten in die Gasse. Semjonows Ladenfenster glitzerte. Vor der Tür saß ein wilder Hund und kratzte sich.
    »Noch eine Viertelstunde.« Karpuschin durchlief ein Zittern. So lauert ein Tiger im Gras und läßt die Herde an sich vorbeiziehen, bis er hervorbricht und sich auf die Beute stürzt.
    Semjonow schlief in dieser Nacht ebenfalls nicht. Er wußte Karpuschin in dem Zimmer gegenüber, nur durch eine Gasse von ihm getrennt. Ahnungslos lag Ludmilla auf der Seite und träumte. Sie sprach im Schlaf, undeutliche Worte, aber schöne Worte, denn sie lächelte wie ein Kind vor dem Ostertisch.
    Ab und zu sah Semjonow auf die Uhr und verfluchte die Stunden, die sich dehnten wie Jahrhunderte im Fegefeuer. Gegen fünf Uhr schon stand er auf, schob sich vorsichtig aus dem Bett, schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer, zog sich an und schob einen Stuhl vor das Fenster zur Gasse.
    Dort sitzt er, dachte er, und blickt durch die Gardine. Zu mir starrt er herüber, und seine Gedanken sind voll Rache und Freude. Ab und zu putzt er seinen Kneifer, und nur seine Finger beben. Das runde, dicke Gesicht aber ist kalt, und die Augen sind einem Fisch ähnlich, der auf dem Grund des Stromes steht und auf dem Schwarm der kleinen Stichlinge wartet.
    Sechs Uhr.
    Der Milchträger klapperte durch die Gasse. Semjonow hörte ihn, und Karpuschin hörte ihn. Die Kannen schepperten, ein ungeöltes Rad quietschte schauerlich. Dann war er vor Semjonows Laden, nahm die Kanne aus der Mauernische, füllte sie mit süßer, sahniger Milch, stellte den Krug in die Nische zurück und trug den Reservekrug zum Karren.
    Karpuschin erhob sich. Die kleine Tüte steckte er in die Tasche und blickte Marfa an, die plötzlich bleich und kleiner geworden war, wirklich ein müdes Mäuslein, das sich nicht mehr verkriechen konnte.
    »Denk an die Zukunft!« sagte Karpuschin mit fester Stimme.
    »Ich wünsche dir Erfolg, Matweij Nikiforowitsch«, sagte Marfa, und ihre Stimme hatte jeden Ton verloren.
    Karpuschin ging. Ruhig stieg er die Treppe hinunter, öffnete die Haustür, ging mit festen Schritten über die Gasse, stellte sich in die Tür Semjonows, nahm das Tütchen heraus, riß es auf und schüttelte ein Pulver in die Milch. Mit einem Hornlöffel, aus dem Hotel mitgenommen, rührte er die Milch um, mit der gleichmäßigen, leidenschaftlichen Bewegung eines Menschen, der seine Milch vor dem Trinken zuckert. Dann zog er den Hornlöffel heraus, ließ ihn auf dem Gossenpflaster abtropfen, nahm ein Taschentuch aus dem Jackett, putzte den Löffel sorgfältig ab, ging ebenso gemessenen Schrittes zurück zum Haus und zog hinter sich die Tür zu.
    Semjonow trat von der Gardine zurück. Selten hat man die Gelegenheit, seinen eigenen Tod zu beobachten und zu sehen, wie er arbeitet. Ein Gefühl war es, das Semjonow noch nie empfunden hatte, eine Leere, in der er sein Blut rauschen hörte wie einen mächtigen Wasserfall.
    Unendlich dehnten sich die Minuten bis kurz vor sieben Uhr. Ein paarmal lauschte er an der Tür des Schlafzimmers, ob sich Ludmilla regte oder die kleine Nadja schon wach war. Aber sie schliefen fest. Schweren Wein hatten sie am Abend getrunken, und Semjonow hatte Ludmilla belogen, er feiere heute ein gutes Geschäft mit einem Importeur aus Holland. Und heimlich hatte

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