Liebesnaehe
sie gerade ihn seit Tagen herbeigesehnt. Natürlich weiß er, dass das nicht so ist, diese jungen Frauen lächeln jeden so an, der an der Rezeption auftaucht, sie haben dieses Lächeln gut drauf, denn es wirkt weder verbraucht noch künstlich, sondern immer wieder so frisch, dass er darauf hereinfällt und selbst zu lächeln beginnt, als wäre wirklich er gemeint.
Er wird herzlich begrüßt, er ist in diesem Hotel kein Fremder, denn er ist früher schon einmal von München aus für einige Tage hierhergekommen, um ungestört zu arbeiten, spazieren zu gehen und in den schön gelegenen Pools des Hotels ausgiebig zu schwimmen. Die junge Frau, die sich um ihn kümmert, braucht ihm also kein Anmeldeformular zu reichen, das Formular ist vielmehr längst ausgefüllt, so dass er nur noch zu unterschreiben braucht. »Johannes Kirchner« schreibt er, und in der Zeile direkt über dieser Unterschrift steht bereits seine Münchener Adresse.
Er plaudert noch einige Sätze mit der jungen Frau, er spricht kurz von der kaum einstündigen Fahrt hierher, erwähnt aber nicht, wie sehr er diese Vorgebirgslandschaft mag und wie sehr er sie gerade im Spätsommer und Herbst mag, wenn die Reisehektik allmählich zum Erliegen kommt und die oft tief stehende Sonne einen flimmernden, weichen Glanz über sie legt. Dann aber bricht er gleich ab, er hat bereits zu viel geredet, eigentlich hatte er sich vorgenommen, dieses Empfangszeremoniell kurz zu halten, denn er möchte sofort untertauchen und anonym
werden, ja, er möchte sich in einen Hotelgast verwandeln, der von niemandem bemerkt wird.
Er räuspert sich etwas verlegen, dann merkt er sich den Namen der jungen Frau, der auf dem kleinen Schild am Revers ihres Kostüms steht, er lächelt noch einmal, dann bedankt er sich bei ihr und nennt dabei bewusst nur ihren Vornamen, ein paar geheime Verbündete benötigt er für seinen Aufenthalt, und diese junge Frau mit Vornamen Lea wird, das ahnt er jetzt schon, zu ihnen gehören.
Er wendet sich ab und geht dann die breite Treppe aus dem Foyer hinauf in den ersten Stock, er durchläuft einen angenehm zurückhaltend erleuchteten Flur und sieht an dessen Ende schon die Tür seines Zimmers. Wie bei seinem letzten Aufenthalt hat man ihm auf seinen Wunsch hin ein Eckzimmer mit Blick auf das steil hinter den Wiesen und Wäldern aufsteigende Gebirgsmassiv gegeben, er geht hinein und bedankt sich bei dem Angestellten, der das Gepäck bereits hinaufgebracht hat. Er gibt ihm ein Trinkgeld, dann schließt er die Tür hinter ihm, zieht das Sacco aus und betritt kurz das Bad, um sich die Hände zu waschen.
Auf dem breiten Schreibtisch zwischen zwei großen Fenstern steht eine Schale mit Obst und eine Wasserflasche, er schenkt sich ein Glas ein, trinkt, zieht die Vorhänge der Fenster beiseite, nimmt Platz und wartet still einige Minuten. Dann schaut er auf die Liste der Telefonnummern und wählt die Nummer der hoteleigenen Buchhandlung. Er lächelt, wie eben an der Rezeption. Als sich die Stimme einer älteren Frau meldet, sagt er:
– Guten Morgen, Katharina. Ich bin gerade angekommen, es ist alles in Ordnung. Wenn ich ausgepackt habe, komme ich sofort bei Dir vorbei. Ich freue mich.
2
SIE VERLÄSST den Zug und bleibt dann auf dem schmalen, kleinen Bahnsteig zwischen den wenigen Gleisen stehen. Sie dreht sich um, jemand reicht ihr das Gepäck hinterher: Zwei Koffer, eine große Reisetasche und eine Aktentasche, die sie als Einziges in der Hand behält, während sie sich nach dem Fahrer des Hotelbusses umschaut, der sie anscheinend sofort erkannt hat und über die Gleise hinweg zu ihr kommt. Sie begrüßen sich herzlich, sie kennen einander, schon mehrmals hat dieser Fahrer sie von hier abgeholt und die wenigen Kilometer bis zum Hotel gefahren.
Er verstaut ihr Gepäck, und sie setzt sich nach hinten, und wie schon oft macht er einen Scherz darüber, dass sie sich nicht neben ihn, sondern nach hinten setzt, sie setzt sich in jedem Taxi und also auch in diesem Hotelbus nach hinten, weil sie einmal einen Unfall in einem Taxi erlebt hat, sie saß vorne, neben dem Fahrer, und war verletzt worden. Der Wagen fährt los, und sie lehnt sich etwas zurück, sie öffnet noch einen weiteren Knopf ihrer Bluse und fährt sich mit der rechten Hand kurz über den Hals, als müsste sie die Haut straffen und nach der Zugfahrt ein wenig aufmöbeln.
Der Fahrer schaut in den Rückspiegel und lächelt ihr zu, er spricht nicht sofort, sondern konzentriert sich zunächst
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