Liebesnaehe
junge Frau trägt einen schwarzen Badeanzug aus einem Stück mit einem orangefarbigen Oberrand, sie wirkt wie eine geübte Schwimmerin, vielleicht ist sie sogar eine Leistungssportlerin, jedenfalls macht dieses Schwimmen einen durchaus gekonnten Eindruck. Ohne ihr Tempo auch nur minimal zu verändern, zieht sie ihre Bahnen, das alles sieht sehr leicht und lässig aus, als machte es ihr nicht die geringste Mühe.
Er beginnt, die Bahnen im Stillen zu zählen, er bekommt den Blick gar nicht los von diesem glitzernden Schwarz, das wie aufgedreht im Wasser hin und her gleitet.
Als müsste er auf das alles sofort reagieren, öffnet er sein Notizbuch und schreibt, nachdem er zunächst Zeit und Ort notiert hat: Der tief gelegene Pool und die Schwimmerin … – mein hypnotisiertes Schauen auf diese Erscheinung von Hellblau und Schwarz, mit einer Minimalspur von Orange. Dazu das starke Blond ihrer Haare. Eine reine Erscheinung von Farben, für das Auge sehr wohltuend, weil das Hellblau sich kaum verändert, während das Schwarz eine sehr einfache, vorhersehbare Spur zieht. Die reine Entspannung, für diese Frau, aber vielleicht noch mehr für mich, dessen Sehgenuss noch größer sein mag als der Genuss, den die Schwimmbewegungen verursachen.
Er zieht einen kleinen Strich unter diese Notiz, als wollte er strikt dafür sorgen, dass er nicht weiterschreibt, er starrt in die Tiefe, seine Gedanken aber treiben noch einmal zu Katharina zurück. Früher hat er ihre Münchener Buchhandlung regelmäßig besucht, er fühlte sich als ein Teil dieser Buchhandlung, oft hat er sich stundenlang dort aufgehalten, und immer gab es in den drei kleinen, durchgehenden Räumen mit den schön geschwungenen Jugendstilpfeilern etwas zu entdecken.
Er hat den Geruch dieser Buchhandlung sehr gemocht, diesen leichten, sofort etwas melancholisch stimmenden Bücherdunst, dieses Ausatmen der gedruckten Werke, von denen manche schon etwas Versumpftes, Müdes,
Unbewegliches hatten, weil sie nie aus dem Regal geholt wurden, sondern oft Monate, ja vielleicht sogar Jahre darauf warteten, endlich beachtet und gekauft zu werden. Den Büchern, die Katharina besonders mochte, räumte sie lange Aufenthaltsfristen ein, obwohl das natürlich nicht effizient war.
Manchmal hat sie auch noch geraucht, und dann setzte sich der Duft ihrer kleinen Zigarillos wie sinkender Nebel in der Buchhandlung ab und vermischte sich aufs Schönste mit dem ja ebenfalls trockenen Geruch der Bücher. Er hat sie noch genau vor Augen, wie sie häufig in der Tür ihres Geschäftes stand, ein Zigarillo in der Rechten, die Brille auf der Stirn, neugierig auf jeden, der sich der Buchhandlung näherte.
Er hat sie oft zum Schreiben animiert, aber sie hat sich seinem Drängen mit leicht fadenscheinigen Ausreden entzogen. Jetzt aber hat sie anscheinend wirklich zu schreiben begonnen, und das wohl nicht zufällig hier, in dieser Abgeschiedenheit. Vielleicht sind ihr Schreiben und Notieren genau das Projekt, auf das ihr Leben zuläuft. Vielleicht erlebt sie an diesem Ort, abseits von München und abseits von all den Begegnungen und Aktivitäten ihres bisherigen Lebens, eine Art von neuer Erfüllung.
Er starrt noch immer hinunter auf den Pool, die Schwimmerin zieht ihre Bahnen jetzt etwas langsamer, sie schwimmt aus und aalt sich beinahe im Wasser, mal auf dem Rücken, mal auf der Seite, sie spielt einen leicht selbstverliebten Fisch, der in einem Aquarium von Hunderten müder Augen beobachtet wird und schließlich resigniert und sich kaum noch bewegt. Und wahrhaftig,
er sieht jetzt, wie sie sich am Beckenrand hochzieht und das Becken verlässt, sie schüttelt sich kurz und eilt dann hinüber zur Liege, wo sie ein Handtuch aus ihrer Sporttasche zerrt.
Er befürchtet einen Moment, dass sie zu ihm hinaufblicken könnte, deshalb duckt er sich ein wenig, als könnte ihn diese Verlegenheitsgeste wirklich unsichtbar machen. Er überlegt auch, ob er aufstehen und davonschleichen soll, dann aber ruft er sich zur Vernunft und senkt den Kopf und blickt stur in sein Notizheft, in das er auf einer neuen Seite notiert: Wer ist diese Schwimmerin? Ich habe ihr beim Schwimmen zugeschaut, und ich habe noch nie jemanden so gelöst und entspannt schwimmen sehen.
Er reißt die Seite heraus und faltet sie zusammen. Dann steckt er den Zettel in eine kleine Spalte der Holzbank. Vielleicht sieht und findet sie ihn, vielleicht auch nicht – er will das dem Zufall überlassen. Er schaut noch einmal hinunter in
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