Liebesvisitation (German Edition)
hatte.
„Ich glaube“, resümierte Thomas. „Die Menschen nehmen eben das, was sie kriegen. Das heißt nicht, dass sie nicht etwas Besseres wollen. Sie bekommen es eben nicht. Wenn sie das Schlechtere aber nicht annehmen würden, dann würden ihnen die Hersteller zwangsläufig etwas Besseres anbieten. Die Leute haben eben keine Lust, lange zu suchen. Sie nehmen was sich anbietet.“
„Tja“, seufzte Ralf. „Das Leben des Menschen gliedert sich eben in drei Teile: Er begann als Affe, wurde zum Menschen und machte sich dann wieder zum Affen.“
„Na komm schon. Ein dummer Mensch ist doch immer noch klüger als ein Affe“, wandte nun Judith ein.
„Aber der Affe kann im Rahmen seiner Möglichkeiten logisch agieren. Seine Handlungen sind schlüssig. Er befriedigt seine Grundbedürfnisse, für die er - wie der Name schon sagt - seinen Grund hat“, beharrte Ralf.
„Aber wir haben uns doch entwickelt. Wir haben so viele Erfindungen gemacht. Das Internet, das Fernsehen, Handys“, attestierte Frank.
„Wir? Du nicht und ich nicht. Und die meisten Anderen auch nicht. Unsere ganze moderne Zivilisation beruht auf den Erfindungen von wenigen tausend Menschen. Eine winzige Minderheit. Die meisten Menschen würden all diese Dinge nie erfinden können, aber jeder klopft sich schön selbst auf die Schulter und sagt: ‚Seht her, was wir erreicht haben. Sind wir kultiviert‘, aber ohne die Erfindungen von diesen wenigen tausend Menschen, wären wir jetzt noch in der Steinzeit. Und dann höre ich immer etwas von den ‚ Very important persons – VIPs, sehr wichtige Personen‘. Der Typ im Kraftwerk, der den Strom erzeugt, der ist wichtig. Nicht der Popstar!“
Es herrschte ehrfürchtige Stille am Tisch.
„Stehen die Fans und Paparazzi vor dem Haus von Martin Cooper?“, stellte Ralf eine rhetorische Frage in den Raum.
„Wer?“, wollte Frank wissen.
„Das ist der Erfinder des Mobiltelefons“, entgegnete Ralf genervt. „Der hat die Zivilisation mehr verändert als jeder Popstar.“
„Und was hat das jetzt mit meinem Misserfolg zu tun?“, wollte Thomas nun endlich wissen.
„Ganz einfach: Im Regenfall wird das als Genialstes empfunden, was an der Obergrenze der persönlichen Wahrnehmung liegt, beziehungsweise was an höchster Stelle innerhalb der persönlichen Wahrnehmung liegt. Was den geistigen Horizont von jemandem übersteigt, wir entweder überhaupt nicht gewertet, oder schlechter bewertet als es ist. Die Frage ist: Gibt es einen universalen Maßstab?
Schwierig, jemandem den Unterschied begreiflich zu machen, wie es sich anfühlt, ein Genie zu sein, im Unterschied dazu, nur zu glauben ein Genie zu sein. Genauso wie beim Träumen. Wenn man schläft, glaubt man wach zu sein, wenn man wach ist, weiß man dass man wach ist.
Es gibt also einen Maßstab. Voraussetzung für das Erkennen dieses Maßstabs ist der wache Geist. Viele befinden sich aber lebenslang im Schlaf, und das nutzen die Konzerne aus. Schau dir mal die Philosophie eines jeden Konzernes an: Das einzige Ziel eines Konzerns ist maximaler Gewinn. Das geschieht durch maximalen Umsatz bei minimalen Ausgaben. Jetzt mag vielleicht manch einer einwenden, dass es doch auch ehrenhafte Ambitionen in vielen Unternehmen gibt. Das geschieht aber durch das Individuum, nicht durch den Konzern, der ja nichts weiter ist als ein Objekt.
Wie geschieht nun die Umsetzung: Maximaler Gewinn bei minimalen Ausgaben?
Antwort: Durch den Einsatz möglichst günstiger Ausgangsstoffe, die sich möglichst günstig umsetzen lassen. Und da kommt die breite Masse ins Spiel. Wenn man sich ernsthaft mit einem kreativen Talent auseinander setzen würde, müsste man sich von ihm abhängig machen. Heißt: Der Konzern ist auf das angewiesen, was der Künstler schafft, beziehungsweise zur Verfügung stellt. Der Konzern wird abhängig vom Künstler und nicht umgekehrt. Der Künstler kann dementsprechend Forderungen stellen, die dem Prinzip des Konzerns - nämlich die Realisierung des maximalen Gewinns - widersprechen. Freilich nur dann, wenn der Gewinn abzüglich des Anteils, den der kreative Künstler für sich beansprucht, geringer ist, als der Gewinn, der mit jemandem aus der breiten Masse erzeugt werden würde.
Nun könnte man natürlich einwenden, dass zumindest der Umsatz, den der kreative Künstler produziert, höher sein müsste, als der von jemandem der breiten Masse, aber das ist ein Irrtum. Denn wirklich geniale Dinge können von weniger Menschen verstanden werden,
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