Liebesvisitation (German Edition)
gehabt, hätte er augenblicklich einen Ständer bekommen.
Sie blickte ihm lächelnd über die Schulter, und ihr Gesicht war dem Seinen so nahe, dass er es bei einer anderen für eine Liebeserklärung gehalten hätte. Aber Judith hatte keine Berührungsängste. Sie war kein Luder, sondern sie behandelte alle vollkommen ungeschlechtlich. Sie hätte nur mit den Fingern schnippen müssen, und sie hätte jeden haben können, aber dafür war sie zu intelligent.
„ Hallooo “, sagte sie langgezogen, und Albert wusste nicht ganz genau, ob sie sich über ihn lustig machte. Albert wusste, wie er auf andere wirkte. Das heißt, wie er auf andere wirken würde, wenn sie so wären wie er selbst. Er hatte nämlich ein gutes Selbstbewusstsein. Das heißt, er war sich seiner selbst genau bewusst. Er sah aus wie ein umgedrehter Besenstiel. Jedenfalls stand er dauernd so unbedarft rum. Irgendwie immer deplatziert. Hätte man ihn in eine Menge von 1000 Menschen gestellt, wäre er sofort aufgefallen. Weil er absolut rausstach. Weil er irgendwie immer daneben aussah. Das lag nicht an seinem Äußeren, sondern an der Art wie er sich gab. Er war sich dessen voll bewusst, aber er hatte keine Lust, sich für die Anderen zu verändern, weil er die Anderen letztendlich sowieso nicht wollte. Außer Judith. Judith war anders. Judith war…hach.
„Erde an Albert!“
Judith blickte ihn immer noch lächelnd an. „Du bist auf der Erde. Dein Name ist Albert Reineke. Und du bist an einem See.“
Albert hasste seinen Nachnamen. Er hasste auch seinen Vornamen. „Albert“ klang nach einem alten Bibliothekar, obwohl der Job als Bibliothekar ihm durchaus gefallen hätte. Und „Reineke“, klang so nach Reinigungsmittel.
Judith wischte mit der Hand vor seinen Augen herum. Er war schon wieder abgedriftet. Nun nahm Albert ihren Bikini wahr. Er war grün und auf dem Rücken mit einer kunstvollen Schleife zusammen gebunden.
„Gefällt er dir?“
Verdammt, sie hatte seinen Blick bemerkt.
„Ja, er ist heiß, ich meine er ist schön.“
Judith lächelte schelmisch. „Findest du nur den Bikini schön?“
„Nein. Der Bikini ist auch nur schön, wenn du ihn anhast. Wobei es noch schöner wäre, wenn du ihn nicht anhättest.“
Albert glühte unter seiner koketten Bemerkung. Normalerweise dachte er solche Sachen nur, aber Judith schaffte es immer wieder, ihn aus seiner Reserve zu locken.
„Vielleicht solltest du dich etwas abkühlen.“ Sie deutete auf den See.
Sie gingen gemeinsam schwimmen.
Judith schwamm gerne, das tat sie auch tatsächlich. Vom Waten in Ufernähe hielt sie nämlich auch nichts.
Leichte Wellen durchzogen den See und Albert war froh um jede, die ihn näher zu Judith schob. Noch als er am Abend im Bett lag, hatte er das Gefühl, dass die Matratze wie ein Ozeandampfer schaukelte.
„Und nun begrüße ich das größte musikalische und literarische Talent der Welt. Der Mann mit einem IQ von 300. Ladies und Gentlemen: Hier ist Albert Reineke.“
(tosender Applaus)
„Albert, du mit dem größten Verstand und der mächtigsten Fantasie und Poesie der Welt: Was ist das wichtigste im Leben?“
„Kaffee.“
(Publikum lacht)
„Jedenfalls in meinem Leben.“
„Ich dachte du würdest sagen: Liebe.“
„Davon abgesehen natürlich. Aber die findet in meinem Leben nicht statt.“
„Wieso nicht? Bist du auf der Suche nach einem genauso großen Talent wie du es bist?“
„Nein. Ich habe genug Ideen für zwei. Ich bin auf der Suche nach Liebe.
Die meisten Menschen sind ein paar Jahre mit jemandem zusammen und glauben nachher es war Liebe. Sie verwechseln Freundschaft mit Liebe.
Freundschaft ist das Ausleben gemeinsamer Interessen.
Liebe ist die Überwindung von Gegensätzen.“
„Albert, ich würde mich gerne noch weiter mit dir unterhalten, aber es ist bereits zehn nach sechs, und gleich klingelt dein Wecker und du wirst aufwachen. Also vielen Dank für dein Erscheinen. Das war wieder Mal eine Ausgabe von:
Träumen mit Albert Reineke. In diesem Sinne: guten Morgen.“
Der Wecker schellte.
„Wie konntest du nur! Was für ein peinlicher Auftritt.“
Markus und Thomas waren in einem China-Restaurant gewesen. In der Mitte des Lokals stand ein großes Aquarium, so etwas gab es häufig in China-Restaurants. Was es nicht häufig gab in China-Restaurants, waren Gäste wie Markus, der sich einen Fisch ausgesucht hatte, und als die Bedienung kam auf ihn deutete und sagte: „Den hier will ich. Bereiten sie
Weitere Kostenlose Bücher