Liebesvisitation (German Edition)
gecovert wird. Dabei spielen die meisten Orchester doch fast nur die alten Sachen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Mozart und Beethoven wollten. Ich bin sicher, die würden heute auch Synthesizer benutzen. Außerdem könnten sie heute viel freier sein. Wir waren beim Musik machen doch noch nie so frei wie heute. Damals, als man Musik noch nicht konservieren konnte, mussten sich die Leute an einem Ort zusammenfinden. Das taten sie natürlich nicht für fünf Minuten, also mussten die Lieder so lange sein, wie ein Kinofilm, damit sich das auch lohnte. Also waren Leute wie Mozart und Beethoven gezwungen, Lieder zu machen, die über Stunden gingen. Die ganzen Arien sind ja nix anderes als Megamixe .
Und als dann die Schallplatte aufkam, durften Singles nicht länger als zwei Minuten dreißig sein, weil nicht mehr auf eine Singleschallplatte passte. Aber heute sind wir frei. Wir können machen, was wir wollen.“
„Trotzdem“, meinte Christian. „Ich weiß ein akustisches Instrument schon mehr zu schätzen, als ein elektronisches.“
„Du meinst ‚noch‘“, verbesserte ihn Thomas. „Wenn du wirklich dieser Meinung bist, darfst du nämlich auch keine CDs und MP3s hören, denn das sind ja auch nur elektronische Impulse. Und wenn du ein klassisches Konzert besuchst, dann pass auf, dass die Musik nicht durch Lautsprecher verstärkt wird, denn dann wird aus der Geige und dem Klavier ja wieder ein elektronischer Impuls. Dann musst du wirklich ins Opernhaus gehen, wo keinerlei elektronische Verstärkung stattfindet.“
„Okay, okay, schuldig“, lenkte Christian ein.
„Thomas“, sagte Markus nun alarmiert und reckte aufmerkend den Zeigefinger in die Höhe. „Hörst du das?“
Thomas lauschte, bevor er unbedarft antwortete: „Nein.“
„Ich auch nicht“, sagte Markus und grinste.
„ Werd ‘ nicht frech.“
„Ich bin schon frech.“
Sie gaben sich einen Kuss.
„Wir wissen doch, dass du unser Genie bist, Thomas“, streichelte Judith sein Ego. „Und denk immer dran: Lieber zehn Leute, die dein Talent zu schätzen wissen, als 100.000, die sich nur so berieseln lassen.“
„Tja“, sagte Thomas selbstironisch, „vor zehn Jahren dachte ich, ich wäre ein nicht steigerbares Genie...Heute weiß ich, ich bin ein immer noch steigerbares Genie.“
„Ja“, bestätigte Markus, „und auch, wenn du nicht gut verdienst. Ich hänge eh nicht am Geld. Deshalb gebe ich es ja auch immer gleich wieder für Luxusgüter aus.“
Christians Handy klingelte. „Ja? Ja. Ja ja . Wir sind noch da. Ja, ich hol dich.“
„Wer war das?“, fragte Thomas stellvertretend für die Gruppe.
„Meine Beziehung. Sie steht auf der Hauptstraße und findet nicht hierher. Ich weise ihr den Weg.“
„Wir freuen uns auf ihn!“, rief Markus Christian hinterher, der es jetzt ziemlich eilig hatte.
„Dass ihr beiden heiraten wollt, das find ich toll und mutig“, lobte jetzt Susanne Judiths und Alberts Entschluss.
„Gar nicht“, widersprach Albert. „Man heiratet, um sich gegenseitig beleidigen zu können, ohne angezeigt zu werden“, erklärte er.
Ralf und Anna liefen gutgelaunt an einem auf der Wiese liegenden und in die Sterne blickenden Michael vorbei und Ralf rief: „Hey Michael, willst du einen Wodka, oder hast du Angst, dass dich die Kosaken umbringen?! Ha ha ha haaa !“
Auch Susanne löste sich von der Gruppe. Sie hatte noch was vor.
„Frank.“
Frank war erschrocken als er seinen Namen nah an seinem Ohr hörte und Susannes Hand auf seiner Schulter spürte. Er hatte sich an einen Baum gelehnt und starrte auf den See.
„Komm mal mit. Wir sollten uns aussprechen“, sagte Susanne.
„Ja“, antwortete Frank verfahren. Er hatte Angst vor diesem Gespräch. Nicht, weil er Angst vor einem Streit hatte, sondern weil er Angst hatte, sie zu verlieren. Vielleicht hatte er das schon längst. Und jetzt, wo ihm seine Freundin quasi den Laufpass gegeben hatte, würde es aussehen, als wollte er zu ihr zurückkriechen, weil er nichts Besseres mehr hatte. Dabei hatte er nie etwas Besseres gehabt als Susanne. Er würde nicht von ihr loskommen, und das wollte er auch nicht. Sie war die Liebe seines Lebens. Er hatte nur ein paar in die Fresse gebraucht, um das zu begreifen.
Jetzt begann Susanne zu reden, und er hatte Angst.
„Man kann auch so sehr von etwas ablenken, dass es schon wieder auffällig ist. Man kann einen bestimmten Punkt so sehr umfahren, dass er auffällig wird. Die Linien, in
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